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Der Umweg

Der Umweg

Titel: Der Umweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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und zu Sam. Einmal schaute er kurz auf die Uhr. »Ich will heute zum Snowdon«, sagte er. »Hast du einen Vorschlag?«
    »Einen Vorschlag?«
    »Für einen möglichst schönen Weg.«
    »Kommt man da in einem Tag hin?«
    »Kein Problem. Ich will nicht rauf, nur bis an den Fuß.«
    »In die Richtung bin ich noch nie gegangen.«
    »Wie lange wohnst du hier schon?«
    »Zwei Monate.«
    »Vorübergehend?«
    »Nein. Für immer.«
    »Poah.« Er war fertig mit Essen, er rieb sich die Hände, die trotz des Badens am Vorabend noch etwas schmutzig waren. »Jetzt du, Sam.« Er schüttete Hundebrocken in den Napf, der vor dem Herd stand. »Ich hol meinen Kram runter, und dann geh ich.«
    »Gut«, sagte sie.
    Zehn Minuten später standen sie an der Hausecke. Das Gras war naß, die Tür des alten Schweinestalls stand offen. Die Erlenstämme glänzten vor dem Mäuerchen. Der Junge schüttelte ihr die Hand. »Ganz herzlichen Dank«, sagte er. Der Hund lief am Stacheldraht entlang, schnüffelte und bellte. Die Gänse standen im hintersten Winkel ihrer Weide.
    »Gern geschehen.« Sie hielt seine Hand einen Moment fest. Sie hätte jetzt ruhig noch etwas sagen können, wußte aber nicht, was. Er hatte seine Mütze aufgesetzt, obwohl es nicht kalt war.
    »Ich hol Sam mal von den Gänsen weg.«
    »Da an der Biegung gehst du geradeaus, ich hab vor einiger Zeit das kissing gate freigelegt.«
    Vorsichtig zog er seine Hand zurück. » See you «, sagte er. Er ging, pfiff nach dem Hund, der am Stacheldraht hin und her flitzte. Wegen des Rucksacks sah sie nur noch seine Beine, hin und wieder einen Ellbogen. Mann und Hund, ein Mann mit lockerem Gang, der ein Stück Schiefer vor sich hertrat. Kurz vor dem Weidetor holte Sam ihn ein. Nichts quietschte, sie hatte die Scharniere gut geölt. Er war fort. Noch einmal bellte der Hund.
    Sie ging zur Gänseweide. Die Vögel kamen auf sie zu. Vier. Das mußte an dem Abend passiert sein, als sie nackt und auf Knien zu den Sternen hinaufgeschaut hatte; eine Woche hatte sie also nicht auf die Gänse geachtet. Sie lief ins Haus und nahm den Rest Brot von der Anrichte. Dann rannte sie zurück, rupfte kleine Stückchen Brot ab und warf sie über den Stacheldraht. Sie betrachtete das Häuschen, das sie gebaut hatte. Das Drahtgeflecht, das den Eingang verschließen sollte, stand noch ab. Vielleicht schlüpften sie nachts doch hinein, aber auch dann waren sie nicht sicher. Das Brot in ihren Händen und der aufmerksame Blick der Gänse erinnerten sie an etwas. Als sie nach dem vergeblichen Versuch, die Tiere in das Häuschen zu treiben, naß und todmüde im Gras gelegen hatte, war ihr die Idee gekommen, sie mit Brot anzulocken. Am nächsten Tag war Rhys Jones aufgetaucht, es war seine Schuld, daß sie sich nicht mehr um die Vögel gekümmert hatte. Wie konnte ich das tun? fragte sie sich. Wie konnte ich Tiere, für die ich verantwortlich bin, einfach ihrem Schicksal überlassen, bloß weil ich den Kerl ekelhaft finde? Wo bleibt er eigentlich? Wir haben schon Dezember, und November ist Schlachtmonat. Wieso kommt er nicht? Sie ging zum Tor und betrat die Gänseweide. Die Vögel waren ihr auf der anderen Seite des Zauns gefolgt. Direkt vor dem Häuschen streute sie ein wenig Brot aus. Die Gänse taten ihr nicht den Gefallen, sie schienen zu wissen, daß sie hereingelegt werden sollten, und blieben in einiger Entfernung stehen. Sie seufzte, ging zum Tor zurück. Sobald sie es wieder mit der Seilschlaufe befestigt hatte, liefen die Gänse zum Häuschen und begannen das Brot hinunterzuschlingen. »Scheiße«, sagte sie leise. »Sture Mistviecher.« Sie blickte zu der Lücke in der Eichenreihe hinüber, zum kissing gate . Dann machte sie sich langsam auf den Weg zum Haus. In der Küche stand das Frühstücksgeschirr noch auf dem Tisch. Sie griff nach seinem Teller und roch daran, setzte seine Kaffeetasse an die Lippen. Noch nie war es im Haus so leer gewesen. Ohne zu überlegen, nahm sie ihre Tasche und rannte zum Wagen.
31
    Im ganzen Haus war Musik zu hören, ein großer Radio-CD-Spieler stand auf dem Büfett in der Küche. An der Haustür hatte sie den Karton mit dem Fernseher abgestellt, der kam später an die Reihe. Auf dem Tisch lagen Bunt- und Filzstifte. Sie spülte, summte Songs mit, die sie kannte, und dachte immer wieder: see you , nicht goodbye . See you , nicht goodbye . Hätte von Dickinson sein können, das heißt nein, die bevorzugte doch eher den Wechsel von acht und sechs Silben. Das bißchen Gerenne heute

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