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Der Umweg

Der Umweg

Titel: Der Umweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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Uhr.
    »Einmal ist ein Mann gekommen, der Rhys Jones hieß«, sagte sie.
    »Hm.«
    »Die Schafe auf der Weide am Weg gehören ihm.«
    »Hast du dieses Haus gemietet?«
    »Ja. Mit der früheren Besitzerin hatte er so einige Abmachungen. Er hat fast eine halbe Torte aufgefressen, und er hatte Löcher in den Socken.«
    Der Junge schaute sie ausdruckslos an.
    »Ich fand ihn unausstehlich. Er kommt wieder, dann bringt er mir ein Lamm.«
    »Jetzt bin ich ja da«, sagte er.
    Ja, dachte sie. Jetzt bist du da.
    Bradwen stellte Töpfe auf den Tisch und holte eine Tonform mit Fisch aus dem Backofen. » Haddock .«
    Sie wußte nicht, was für ein Fisch das war, es war ihr auch egal, denn er roch lecker, und sie wollte sich Mühe geben und möglichst viel essen. Sam kam herein, vom Geruch angelockt, und setzte sich neben sie, nicht neben seinen Herrn. »Weshalb macht er das?« fragte sie.
    »Er weiß, daß ich ihm nichts gebe. Und du bist jetzt eine Art Alpha-Weibchen.«
    »Ein Alpha-Weibchen.«
    »Hunde halten uns auch für Hunde.«
    »Ich bin ein Mensch«, sagte sie zu dem Hund. »Ein Menschenweibchen.«
    Sam hielt den Kopf schief und schaute sie so traurig an, wie er nur konnte.
    Bradwen füllte auf. Kartoffeln, Brokkoli, Fisch, Soße. Dann goß er Wein in die Gläser. Weißwein. Er prostete ihr zu. »Auf Rhys Jones«, sagte er.
    »Warum?«
    »Der bringt uns ein Lamm. Es ist Dezember.«
    In ihrem Bauch krampfte sich etwas zusammen, sie konnte ihm nicht in die Augen sehen. Sie stach mit der Gabel in den Fisch, nahm einen Bissen. Der Fisch war butterweich. Sie kaute und schluckte. Nahm noch einen Bissen.
    »Schmeckt’s?« fragte er.
    »Sehr gut«, antwortete sie und senkte den Kopf.
    »Was ist?«
    »Ach.«
    Sie hörte ihn aufstehen, sah im Augenwinkel, daß er mit dem Knie den Hund zur Seite schob, spürte eine Hand, einen ganzen Unterarm auf ihrem Rücken, roch seinen Atem. Sie drückte den Kopf an seinen Bauch. »Ich bin froh, daß du da bist«, sagte sie. An seinen Hosenbeinen vorbei schaute sie auf den sauber gekehrten Küchenboden. Eine Socke mit einem L und eine Socke mit einem R. Breite Füße.
    »Ich bin hier«, sagte er.
    »Aber warum bist du hier?« fragte sie.
    »Ach«, sagte er, oder er versuchte es zu sagen, ein walisisches ch war kein niederländisches ch.
    Sie hob den Kopf und nahm über ihre Schulter hinweg seine Hand. »Iß«, sagte sie. »Es wird kalt.«
    Bradwen ging um sie herum zu seinem Stuhl zurück, unterwegs legte er ihre Hand neben ihren Teller. Sam blickte verwirrt vom einen zum anderen. Der Junge setzte sich und hob sein Weinglas. »Auf den Dezember«, sagte er.
    Sie lächelte. »Auf den Dezember.« Sie aß ihren Teller leer, trank noch ein Glas Wein dazu. Wenn er selbst die Gläser füllte, trank er viel weniger gierig.
    »Heute abend fange ich mit Emily Dickinson an«, sagte er, den Vornamen sprach er etwas langsamer aus.
    Es spielte keine Rolle, ob er sie durchschaute. Vielleicht hieß er auch nicht Jones. Vielleicht kam noch ein Moment, in dem sie ihn fragen würde, fragen wollte. Ich glaube, ich will gar nichts über ihn wissen, dachte sie. Er muß einfach nur da sein.
36
    Zwei Tage später schien die Sonne. Schon seit einer Weile lehnte sie mit dem Rücken an der Wand des Schweinestalls und glaubte zu spüren, wie die hellen Steine Wärme speicherten. »Komm«, sagte sie. Der Rauch ihrer Zigarette stieg senkrecht auf, Wasserdampf schwebte zwischen den Stämmen des Wäldchens am Bach. Der Junge setzte die Schubkarre voll Schiefersplitt ab. Er hatte das markierte Rechteck ausgestochen und mit Erlenästen vom Rasen abgetrennt.
    »Kaffee?« fragte er. Er hatte die Mütze in den Nacken geschoben, Schweiß glänzte auf seiner Stirn.
    »Nein, wir gehen ein Stückchen.«
    Er schaute sich um. »Sam!«
    »Er kann nicht mit. Wir müssen ihn im Haus einschließen.«
    »Dann bringe ich ihn besser in den Stall. Im Haus würde er aus allem Kleinholz machen. Er kann nicht gut allein sein.« Der Hund kam vom Öltank her angewetzt, Bradwen packte ihn am Halsband und zog ihn in den Schweinestall. »Jetzt schnell weg«, sagte er.
    Sie ging an der Gartenmauer entlang in Richtung kissing gate .
    »Steigen wir nicht über die Mauer?«
    »Das kann ich nicht.«
    »So alt bist du doch gar nicht.«
    »Nein, so alt bin ich noch nicht. Was schätzt du denn?«
    »Interessiert mich nicht.«
    Durch das Weidetor in der Gartenmauer, zum Steg über den Bach. Die hellbraunen Kühe standen am anderen Ende der Weide, ein Stück

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