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Der Umweg

Der Umweg

Titel: Der Umweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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dem Sofa sitzen, obwohl sie lieber bei ihm an der Haustür gestanden hätte.
    Er zog seine Schuhe an und ging hinaus, rief dann nach dem Hund. Ein Schwall kalter Luft kam herein. Sie zündete sich eine Zigarette an.
    Nach einer Weile raffte sie sich auf und schob ein Holzscheit in den Ofen. Anschließend kehrte sie den Küchenboden. Auf dem Herd dampfte der Wasserkessel. Ab und zu schaute sie aus dem Fenster. Manchmal stand Bradwen sägend auf dem Stuhl, manchmal trug er einen Ast zu dem Stapel am Gartenmäuerchen und verschwand dabei fast im Nebel. Den Hund sah sie nirgends. Sie fragte sich, ob der Junge wußte, daß sie auf seiner Chaiselongue gelegen hatte.
35
    Sie saß auf dem Sofa im Wohnzimmer und sah Escape to the Country . Bradwen war mit ihrem Wagen einkaufen gefahren. Sam lag an ihren Füßen. Während auf dem Bildschirm ein aufgeregtes Paar herumlief – die Frau rief gerade: » I’ll rather die than give up my cats « –, weinte sie lautlos. Der Holzofen, der große Herd, der neue Fernseher und das neue Radio, der Junge und der Hund, der Garten. »Hund«, sagte sie, und Sam hob den Kopf, leckte ihr den Handrücken. Wie hatte Dickinson das bloß gemacht. Sich zurückziehen, immer mehr; dichten, als hinge das Leben davon ab, und sterben. Ein Leben im Geist; Wahrhaftigkeit – oder Authentizität? –, die sich in der Phantasie ausdrückt und nicht in Handlungen. Sie nahm einen Schluck Rotwein. Nie Weißwein, immer Rotwein, als wäre das Medizin. Ihr Onkel hatte früher jeden Abend ein Glas Pleegzuster Bloedwijn getrunken. Blutbildender Wein, ob es so etwas noch gab? » Watch the cat «, sagte die Frau im Fernsehen, sie stieg eine Treppe mit einem scheußlichen Läufer hinauf, ohne die Katze, die auf einer der Stufen lag, weiter zu beachten oder etwa zu streicheln. Natürlich vermutete sie nur, daß ihr Onkel jeden Abend ein Glas getrunken hatte, sie wußte ja nicht, was er tat, wenn sie nicht dabei war. Sie überlegte, was der Junge wohl mitbringen würde, sie hätte gern noch einen Einkaufszettel geschrieben, aber er hatte abgewinkt. Das Geld, das sie ihm mitgeben wollte, hatte er auch nicht angenommen. Ganz kurz sah sie ihren Mann vor sich, wie er seine Laufschuhe zuschnürte, sich aufrichtete und die Tür öffnete. Weg. Ob er jetzt gemütlich zu Hause saß, ein Bier trank und dachte: Die kommt schon zurück? Sie nahm noch einen Schluck Wein und zündete sich eine Zigarette an. Hier, dachte sie. Ich bin hier. Jetzt. Die Engländerin stand inzwischen in einem Garten mit Aussicht auf eine Weide. » I can imagine myself living here, dogs in the garden and a horse in the shed over there .« Blöde Ziege, dachte sie.
    Sam hob den Kopf von den Vorderpfoten und blickte zur Tür. Kurz darauf hörte sie den Wagen, das Zuschlagen einer Autotür, Schritte auf dem Schiefersplitt. Ich begreife nicht, dachte sie, daß ich es hier wochenlang allein ausgehalten habe.
    »Du rauchst schon wieder?« Bradwen schob den Hund mit dem Knie zur Seite.
    »Ja«, antwortete sie. Beim Anblick der offenen Haustür fröstelte sie.
    »Ist nicht gut für dich.«
    »Weiß ich.«
    »Fisch«, sagte er. »Ich hab Fisch gekauft, und daraus werd ich gleich was Leckeres machen.«
    Fisch, dachte sie. Ich muß auf Weißwein umsteigen.
    Bradwen rührte in einem Topf auf dem Herd. Sam hatte seine Brocken bekommen und sich anschließend zurückgezogen; er lag im Wohnzimmer auf dem Teppich vor dem Holzofen und schnarchte leise. Sie blickte auf den Rücken des Jungen. Zeichnete geistesabwesend Kringel auf das Blatt Papier, das er am Morgen bekringelt hatte. Mit blauem Filzstift. Sie hatte schon den Tisch gedeckt. »Wie heißt du eigentlich mit Nachnamen?« fragte sie.
    »Jones.«
    »Heißen hier alle Jones?«
    »Ja. Und du?«
    »Sag ich nicht«, antwortete sie.
    Er drehte sich um, lächelte.
    »Was spielt das für eine Rolle?« fragte sie.
    »Keine.« Er rührte ruhig weiter. Sie stand auf, ging um den Tisch herum, stellte sich neben ihn. Er blickte kurz auf, holte mit dem Zeigefinger etwas Soße aus dem Topf und hielt ihn ihr hin. Ohne lange nachzudenken, leckte sie die Soße ab. Sie nickte. Er nickte ebenfalls, rührte wieder. Es war, als würde er hier schon seit Wochen Mahlzeiten zubereiten. Sie nahm die Streichholzschachtel von der Fensterbank und zündete die beiden Kerzen an. Vom Büfett holte sie einen Leuchter, stellte ihn mitten auf den Tisch, entzündete auch diese Kerze. Als sie sich wieder hinsetzte, hörte sie das boshafte Ticken der

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