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Der Umweg

Der Umweg

Titel: Der Umweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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versucht, diesen Studenten aufzutreiben?«
    »Nein. Ich kenne niemanden an der Uni. Und welchen Sinn hätte das? Ich könnte mir gut vorstellen, daß er gar nicht mehr hier studiert.«
    »Abgehauen.«
    »Vielleicht in den Orient, nach Indien, um sich oder die Wahrheit zu finden.«
    »Ah, von der Sorte. Und dann enden sie in irgendeinem dreckigen Loch, auf einer Matratze auf dem Boden, ohne Imodium-Tabletten. Und im Zimmer nebenan den ganzen Tag ein kreischendes Kind.«
    »Ja. Vielleicht. Danke.«
    »Gern geschehen.«
    »Meine Schwiegermutter wundert sich, daß wir zusammen was trinken gehen. Sie meint, du hättest mich ins Gefängnis stecken müssen. Ist der Barkeeper auch einer?«
    »Ja.«
    »Hm.«
    »Aart! Und noch zwei Bier!«
    »Etwas an ihr habe ich nie verstanden. Da ist irgendwas, an das ich nicht rankomme. Deshalb überrascht es mich zum Beispiel gar nicht so sehr, daß sie fort ist.«
    »Was hast du eigentlich erfahren? Weshalb du sie jetzt doch als vermißt melden willst?«
    »Sie ist krank.«
    »Krank.«
    »Vielleicht sehr krank.«
    »Und hat sich verkrochen oder aus dem Staub gemacht wie eine kranke Katze?«
    »Ja, vielleicht. Auf jeden Fall wollte sie weg von mir. Und von ihren Eltern.«
    Der Barkeeper stellte zwei Gläser Bier auf den Tisch. »Bitterballen kommen sofort.« Er legte dem Polizisten kurz die Hand auf die Schulter.
    »Das ist traurig.«
    »Am Ende des letzten Studienjahrs hat sie was mit diesem Studenten angefangen.« Sein Blick schweifte durch die Kneipe. »Vielleicht, weil sie da schon krank war.«
    »Dem du den Schwanz abschneiden wolltest.«
    »Ach ja, tut mir leid. Das wußtest du schon. Wir haben ja auch gerade erst von ihm gesprochen.«
    »Ich hatte gesagt, daß man das nicht darf.«
    Der Mann schaute den Polizisten an. »Mir wird erst jetzt klar, wie komisch das war. Für dich.«
    »Das war überhaupt nicht komisch.«
    »Nein, natürlich nicht. Aber ich war wütend.«
    »Dabei bist du selbst nicht viel besser.«
    »Nein. Aber jetzt bin ich nicht mehr wütend. Und ich würde gern verstehen, warum sie es getan hat.«
    Ein Mädchen stellte einen kleinen Teller mit Bitterballen auf den Tisch. »Vorsicht, heiß«, sagte sie.
    »Danke«, sagte der Polizist.
    »Es ist gar nicht so wichtig, was sie getan hat«, sagte der Mann. »Sondern daß sie es getan hat. Daß einer etwas tut, im geheimen etwas tut, von dem der andere, in diesem Fall ich, völlig ausgeschlossen ist.«
    Sie aßen beide eine Fleischkrokette.
    »Wenn du nach Hause kommst, geh ins Internet«, sagte der Polizist. »Such einen raus, und ruf an.«
    »Ja.«
    »Du hast wirklich keine Ahnung, wo sie stecken könnte?«
    »Nein. Ich vermute, im Ausland.«
    »Weshalb?«
    »Wie lange kann man sich hier versteckt halten?«
    »Vielleicht ist sie ganz in der Nähe, wer weiß. Je näher, desto weiter weg.«
    »Stimmt auch wieder.«
    »Deine Schwiegermutter hat dich also schon hinter Gittern gesehen.«
    »Ja. Sie glaubt auch, daß alles meine Schuld ist.«
    »Und dein Schwiegervater?«
    »Der sagt nur ›nein‹ und ›ja‹ und ›ach, Frau‹. Nimmt alles eher gelassen.«
    Sie aßen schweigend den Rest der Bitterballen, kühlten ihre Zungen mit Bier.
    »Noch eine Runde tanzen?« fragte der Polizist.
    »Komm, hör auf.«
    »Wie lange wird das dauern?«
    Der Mann blickte auf seinen Gipsfuß. »Drei Wochen. Es waren ihre Bücher.«
    »Ha.«
    Es wurde noch voller in der Kneipe, noch lauter. Der Barkeeper gab dem Polizisten irgendwelche Zeichen, die der Mann nicht zu deuten wußte. Er stand auf, griff nach seinen Krücken. »Ich gehe, bevor es so voll wird, daß ich nicht mehr durchkomme.«
    »Halt mich auf dem laufenden.«
    »Mach ich.«
    Sie gaben sich die Hand. Vorn an der Theke bezahlte der Mann ihre Rechnung; beim Verlassen der Kneipe sah er den Polizisten schon auf einem Barhocker sitzen. Aart blickte ihm nach. Es regnete. Während er zur Haltestelle humpelte, versuchte er sich einen Privatdetektiv vorzustellen. Auf dem Plakat am Wartehäuschen machte ein Eisläufer, nur mit einem Hemd bekleidet, Reklame für Brot. Ein Taxi fuhr viel zu schnell über die Schienen, ein Schwall Wasser traf den Gips.
34
    »Rotterdam«, sagte Bradwen, »ist das eine schöne Stadt?«
    »Na ja«, antwortete sie. »Nicht direkt. Eigentlich eher häßlich.«
    »Wohnst du deshalb jetzt hier?«
    Sie schaute ihn an. Sein Haar war zerzaust, er war eben erst aufgestanden, und gerade jetzt hätte sie so gern durch dieses Haar gestrichen. Manchmal konnte er auf eine

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