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Der Umweg

Der Umweg

Titel: Der Umweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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ihren Töpfen, eine davon hatte eine Blüte.
    Bradwen drehte sich um. »Sieh mal«, sagte er.
    »Schön. Sehr gut. Ich komme gleich.« Sie lehnte den Erlenast neben der Haustür an die Wand und ging hinein. Im Badezimmer schüttelte sie sämtliche Tablettenstreifen aus den Schachteln, nahm eine Tablette mit ein paar Schlucken Wasser ein und ging wieder nach unten. Im Wohnzimmer öffnete sie die Ofentür und warf die leeren Schachteln ins Feuer. Erst als sie sah, daß sie gut brannten, wandte sie sich ab. Sie dachte an das Rezept, sah eine Hand den Zettel vom Ladentisch der Apotheke nehmen. Er mußte irgendwo aufbewahrt sein, archiviert, aber das machte nichts, weil nur Name und Anschrift des Hausarztes angegeben waren, nicht ihr Name und erst recht nicht ihre Adresse. Draußen war die Sonne verschwunden, eine rote Glut hing über der Gänseweide. In einer halben Stunde würde es dunkel sein, vielleicht ein paar Minuten später als gestern, ein fast nicht wahrnehmbarer Unterschied. In ein paar Tagen war Weihnachten.
    »Pflanzt du sie ein?«
    »Gut.«
    Der Junge holte die Töpfe, dann zog er die Rosen am Stamm heraus. Er hatte schon zwei Löcher gegraben und teilweise mit Gartenerde gefüllt, der Sack lag unterm Bogen auf dem Splitt. »Paß auf, daß du dich nicht stichst.«
    Sie senkte die erste Kletterrose in ein Loch und wollte in die Knie gehen.
    »Laß mich das machen.« Er hockte schon, füllte das Loch mit Gartenerde, stand auf und drückte sie mit den Schuhen fest.
    »Du bist nicht nur Turner«, sagte sie, »sondern auch Gärtner.«
    »Ach was, das kann jeder. Bist du spazierengegangen?«
    »Ja.«
    »Hier.« Er reichte ihr ein paar grüne Drähte. »Wenn du diese festbindest, pflanze ich die andere ein.«
    Mit viel Gefummel befestigte sie zwei Äste an dem Bogen, und als Bradwen den Strauch auf der anderen Seite eingepflanzt hatte, auch dort zwei Äste. Die Rosenblüte – sie war mattweiß und eher noch eine Knospe – schaukelte an einem viel zu dünnen Zweig, brach aber nicht ab. Der Junge ging ins Haus und kam gleich darauf mit einem großen Topf wieder heraus. Erst als er ihn beim ersten Rosenstrauch schräg hielt und Wasser herausschwappen ließ, war ihr klar, was er tat. Den leeren Topf warf er ins Gras, dann stemmte er die Arme in die Hüften und seufzte zufrieden. »Gleich kommt deine Lieblingssendung«, sagte er.
    » This ticks all the boxes! « rief eine verwöhnte Schnepfe. Sie und ihr nicht minder verwöhnter Mann verfügten über ein Budget von achthunderttausend Pfund, trotzdem hatten sie kein rechtes Glück bei der Jagd nach einem Haus. Er wollte contemporary , sie wollte character features . Verflixt noch mal, dachte sie, macht das unter euch aus, und belästigt nicht andere damit. » This doesn’t do it for me «, sagte der Mann. » Not at all. « Sie stöhnte. Bradwen brachte ihr kommentarlos ein Glas Weißwein, sie bemerkte ihn erst, als er direkt neben ihr stand. Er hatte sich auf L-und-R-Socken angeschlichen. Fisch, dachte sie. Er sorgt gut für mich. Der Junge schlich wieder hinaus. Er hatte die neue Mütze noch nicht abgesetzt. Ihre rechte Gesichtshälfte glühte von der Hitze, die der Ofen ausstrahlte.
    Sie rutschte ein Stück nach vorn und legte den Kopf auf die Rückenlehne des Sofas. Obwohl im Fernsehen mittlerweile von einem typical Victorian hallway gesprochen wurde, sah sie Shirleys Friseursalon vor sich: Rhys Jones, der mit seinen großen Händen den Zigarettenrauch wegwedelt; den Hausarzt im kobaltblauen Frisierumhang, seine Raucheraugen mit geplatzten Äderchen, einen seltsam lüsternen Zug um den Mund; die Friseurin, die schrill lacht, wobei die Sehnen an ihrem Hals und Nacken obszön hervortreten und die Brüste wippen; die spießigen Haushalts- und Gartenzeitschriften mit Bildern von grünen Kürbissen; da geht die Tür auf, und es kommt wahrhaftig der Bäcker herein, der sich auch unbedingt wieder einmal die Haare schneiden lassen muß, seine Frau Awen schiebt ihn über die Schwelle, ihre Dauerwelle wirkt ein bißchen kraft- und lustlos, und in ein paar Tagen ist schließlich Christmas Day ; jetzt ist es doch reichlich voll im Friseursalon, unterm Zeitschriftentisch liegt ein Border Collie, er leckt das Tischbein ab, vielleicht hat dort erst vor kurzem ein anderer Hund gelegen; auf einmal klingelt das Telefon. Shirley hebt ab und sagt ganz erstaunt: » Yes, he is here, are you gifted with something paranormal? « Rhys Jones übernimmt den Hörer und führt ein kurzes

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