Der unausweichliche Tag - Roman

Hand vor den Mund gehalten, wie um das unangemessene Lachen in den Hals zurückzustopfen. Er hasste sich für das fürchterliche Geräusch, das er machte, und wusste, dass V ihn auch hassen würde, und das mit Recht. Er drehte sich zu Veronica, in der Erwartung, sie in Tränen aufgelöst zu sehen. Doch sie war nicht in Tränen aufgelöst. Sie blickte einfach nur ruhig aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Landschaft.
    Und während die Straße sich jetzt durch die hohen Cevennen schlängelte, mit all dem Geröll am Rand, das vom ständigen Steinschlag zeugte, während sie sich verengte, herumschwang und die Richtung änderte, merkte Anthony plötzlich, wie er – obwohl Lal seine Schwester so grausam gedemütigt und obwohl er selbst so ungehörig gekreischt hatte – sich wünschte, er wäre wieder dreizehn Jahre alt und führe auf einer sanft sich windenden Landstraße durch Berkshire, und sein ganzes Leben läge noch vor ihm.

V eronica genoss ihren freien Tag ohne Kitty.
    Sie hatte Kalbsleber und lardons in der boucherie , frisches Brot in der boulangerie und Kartoffeln, Gemüse und Obst an ihrem Lieblingsmarktstand gekauft, und jetzt war alles ordentlich in der Küche verstaut, und sie saß an einem Kapitel von Gärtnern ohne Regen , das sie »Dekorative Kiessorten« überschrieben hatte.
    Da sie die Fensterläden gegen die Morgensonne halb geschlossen hatte, war es kühl in ihrem Arbeitszimmer, aber die Gartengeräusche konnte sie trotzdem hören und würdigen: die Spatzen auf der Mauer bei der steinernen Vogeltränke, die Zikaden im spanischen Maulbeerbaum vor ihrem Fenster und die Palmwedel, die in der leichten Brise raschelten.
     
    … die beliebteste Kiessorte für Auffahrten und Gehwege in Südfrankreich [schrieb sie] ist eine Mischung aus Sand und sehr kleinen, runden Steinen. Die Farbe ist angenehm: Sie kann bei sehr trockenem Wetter fast weiß wirken und geht nach Regenfällen ins Strohfarbene. In England wird diese Sorte nur selten benutzt, aber in Frankreich findet man sie im Pariser Tuileriengarten und landauf, landab auf allen Bouleplätzen.
     
    Missmutig blickte sie auf den letzten Satz, denn ihr war klar, dass das » landauf, landab « weg musste. Die Formulierung war so peinlich abgedroschen, dass Veronica sogar rot wurde. Zwar war sie sich durchaus bewusst, dass sie keine besonders gute Stilistin war, andererseits wusste sie aber auch, dass es den Menschen, die Gärtnern ohne Regen kaufen sollten, gar nicht auffallen würde. Alles, was ihre Leser von dem Buch verlangten, waren Tipps, harte Fakten und Wissen. Trotzdem war sie stets um eine möglichst lesbare Prosa bemüht. Nicht nur, um ihrer Verlagslektorinzu gefallen, einer Schönheit namens Melissa, in die sie ein bisschen verschossen war. Sondern vielleicht hörte sie auch irgendwo im Hinterkopf Lals Stimme, die verkündete, ihre Schulaufsätze seien »schauerlich unbedarft« und sie werde niemals in der Welt vorankommen, solange sie keine ordentlichen Sätze aneinanderreihen konnte.
    Aber sie war in der Welt vorangekommen. Sieh mich an, Mutter. Ich bin glücklich, und ich bin ziemlich erfolgreich … Das Aneinanderreihen von Wörtern – ihre angebliche Unzulänglichkeit auf diesem Gebiet – hatte sich als nicht so wichtig herausgestellt. Wichtig waren das Anlegen von Gärten sowie Farben und Formen gewesen – beziehungsweise Veronicas Vorstellungen davon.
    Sie beschloss, » landauf, landab « erst einmal zu ignorieren, und schrieb weiter:
     
    Ganz allgemein spielt Kies eine wichtige Rolle bei der Gestaltung des trockenheitsresistenten Gartens. Sollten Sie versucht sein, ein Stück Rasen – dieses durstige Gebilde! – anzulegen, seien Sie vernünftig, planen Sie lieber eine Kiesfläche. Ziehen Sie durchaus auch exotische Kiessorten in Betracht, wie zum Beispiel jenen schwarzen vulkanischen Kies, den Bougainville 1767 aus Tahiti mitbrachte. Er ist zwar teuer, eignet sich jedoch hervorragend für den »modernen« Stil, der im Augenblick von Gartenarchitekten bevorzugt wird: Mit überraschenden Farben (Schwarz-, Grau- und umwerfenden Königsblau-Schattierungen) erschaffen sie das Unvergessliche.
     
    Veronica machte eine Pause. Sie hatte plötzlich das Gefühl, dass die Arbeit heute Morgen alles andere als großartig lief. » Das Unvergessliche « war zum Beispiel peinlich daneben; da baumelte, am Ende eines Absatzes, einfach ein Abstraktum, wie eine überreife Feige, die auf Bougainvilles elenden tahitianischen Kies zu fallen drohte! Sie