Der unausweichliche Tag - Roman
Haus hier liegt sehr isoliert … vous voyez ?«
Es war ein großes Gebäude aus Stein, das dunkel und lichtlos in die Landschaft blickte. Neben dem Haus waren auf der einen Seite ein paar Schirmkiefern gepflanzt, ansonsten aber gab es offenbar nur Gestrüpp und Steine. Der Firstbalken schien sich unter der Last des schweren Schieferdachs leicht durchzubiegen.
»Es sieht ja ziemlich baufällig aus …«, bemerkte Anthony.
» Ah, non! «, sagte Madame Besson entschieden. »Die Besitzer sind Schweizer.«
»Und wieso verkaufen sie?«
Madame zuckte ungeduldig die Schultern, da nun auch noch das Telefon klingelte. »Sie haben meiner Tochter erklärt, sie bräuchten es nicht mehr«, sagte sie. »Das ist alles, was ich weiß.« Sie griff nach dem Hörer.
Anthony verließ das Büro und ging zu seinem Wagen, der in den wenigen Minuten seiner Abwesenheit glühend heiß geworden war. Er setzte sich hinein, studierte bei offener Wagentür die Landkarte und stellte fest, dass er mindestens dreißig Kilometer über eine wahrscheinlich gefährliche Bergstraße fahren musste. Und vielleicht war das ja auch der Grund, weshalb die Besitzer das Haus aufgeben wollten, dachte er – weil niemand sie mehr besuchen kam; niemand hatte Lust, dafür sein Leben zu riskieren.
Vielleicht hatte das Schweizer Paar das Haus am Anfang eben wegen seiner abgeschiedenen Lage in den Bergen geliebt, und dann … vergingen ein paar Sommer, und sie saßen unter den Schirmkiefern und schauten hinunter ins Tal und stellten fest, dass sie sich ins Abseits gesetzt hatten – außer Reichweite für ihre Freunde. Und?, fragte Anthony sich, war es das, was er selbst wirklich wollte? Denn wenn er die Karte richtig las, wäre die Entfernung zwischen ihm und Veronica in Les Glaniques durchaus beträchtlich. Und wie würden sich wohl die Nächte an einem solchen Ort anfühlen? Oder ein Winter?
Er startete den Wagen und fuhr los. Er war überzeugt, dass er sich das Haus anschauen musste – und sei es nur, um vielleicht doch wieder die Erregung zu spüren, jenes herrlich erregende Gefühl, etwas besitzen zu wollen. Doch plötzlich machte ihm die gebirgige Strecke, die vor ihm lag, Angst. Wenn er sich nun da oben verirrte oder eine Panne hatte oder eine Kurve falsch einschätzte und über den Rand in den Abgrund stürzte?
Veronica hatte ihm Wasser in einer Kühltasche mitgegeben. Sie hatte erklärt, momentan steige das Barometer in einem fort und da oben in den Bergen könne die Hitze gnadenlos sein. Falls er, wie angekündigt, einen Spaziergang vorhabe, sei nicht immer ein Bach oder eine Quelle in der Nähe.
Jetzt war Anthony dankbar für das Wasser, für Vs nie versiegende Mütterlichkeit. Aber Wasser allein schien ihm nicht ausreichend: Er brauchte auch etwas zu essen, etwas für den Notfall, und da fiel ihm der Kiosk La Bonne Baguette ein, an dem sie auf ihrem Weg zum Mas Lunel angehalten und Sandwiches gekauft hatten. Er wusste, dass er dort vorbeikam, bevor er beim Dorf La Callune den Fluss queren würde, und beschloss, mindestens zwei Sandwiches zu kaufen. Mit den Broten und dem Wasser wäre er gut versorgt. Besäße eine Versicherung gegen das Unvorhersehbare.
Da war es schon, La Bonne Baguette , aber die Parkbucht, in der Madame Besson damals gehalten hatte, war leider vollständig von einem Tanklastwagen okkupiert. Er fluchte. Hinter ihm drängelte ungeduldig ein BMW-Fahrer, und es gab keine andere Stelle zum Halten. Normalerweise hätte er sich resigniert auf einen späteren Hungeranfall eingestellt und wäre weitergefahren. Doch plötzlich wurde dieser Sandwichkauf zu etwas absolut Lebensnotwendigem für ihn. Und einen anderen Imbiss oder ein kleines Café an der Straße würde es wohl nicht geben. Soweit er wusste, boten diese Berge nicht einmal die kleinsten Annehmlichkeiten. Also musste er zurück zum La Bonne Baguette .
Er drosselte das Tempo. Der BMW versuchte immer wieder, auszuscheren und ihn zu überholen. Schließlich sah Anthony, dass die Straße vor einer Kurve breiter wurde und auf etwa hundert Meter mit einem festen Kiesbankett versehen war. Abrupt steuerte er den schwarzen Renault auf den Seitenstreifen und kam knirschend zum Stehen.
Der BMW-Fahrer brüllte ihm etwas zu, während er vorbeibrauste.Anthony zeigte ihm den Stinkefinger und stieg aus. Vorsichtig ging er um das Auto herum und machte sich auf den Weg zurück zum Sandwich-Stand.
Die Sonne brannte auf Steine und Straße. Der Streifen zwischen Granitwand und
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