Der Unbesiegbare
Ärzte verständigten sich mit Blicken, aber Rohan wußte von der Hibernation, um zu verstehen, daß die Temperatur für einen reversiblen Tod zu hoch, für einen hypothermischen Schlaf hingegen zu niedrig war. Es sah nicht aus, als wäre der Mann im Hibernator für ein Überdauern unter geeigneten Bedingungen vorgesehen gewesen. Er war wohl vielmehr durch Zufall dort hineingeraten, ebenso unbegreiflich und widersinnig, wie alles andere, das an Bord des »Kondors« geschehen war. Und wirklich, als sie, bereits in den thermostatischen Skaphandern, das Handrad aufgedreht und die schwere Klappe angehoben hatten, sahen sie auf dem Fußboden ausgestreckt, mit dem Gesicht nach unten, den Körper eines nur mit Unterwäsche bekleideten Mannes. Rohan half den Ärzten, ihn zu einem kleinen, gepolsterten Tisch hinüberzutragen, über dem drei Leuchten hingen, die schattenfreies Licht gaben. Es war kein Operationstisch, sondern eine Art Liege für kleine Eingriffe, wie sie bisweilen im Hibernator vorgenommen wurden.
Rohan hatte Angst, das Gesicht des Mannes zu erblicken,denn er hatte viele Besatzungsmitglieder des »Kondors« gekannt.
Aber dieser Mann war ihm fremd. Wären die Glieder nicht eiskalt und steif gewesen, so hätte man meinen können, der Gefundene schlafe. Die Lider waren geschlossen. In dem trockenen, hermetisch abgedichteten Raum hatte die Haut nicht einmal die natürliche Farbe eingebüßt, sondern war lediglich bleich. Aber das Gewebe darunter wimmelte von mikroskopisch kleinen Eiskristallen. Wieder verständigten sich die beiden Ärzte wortlos, durch Blicke. Dann machten sie ihre Instrumente fertig.
Rohan ließ sich auf einer der leeren, frisch bezogenen Ruhestätten nieder, die zwei lange Reihen bildeten. Im Hibernator war die ursprüngliche, tadellose Ordnung erhalten. Ein paarmal klirrten die Instrumente, die Ärzte flüsterten, schließlich trat Sax von dem Tisch zurück und sagte: »Nichts mehr zu machen.«
»Also tot«, stieß Rohan hervor. Es war weniger eine Frage als eine Schlußfolgerung, die einzig mögliche, die er aus den Worten des Arztes ziehen konnte.
Nygren hatte unterdessen die Klimaanlage eingeschaltet. Wenig später drang ein warmer Luftstrom in den Raum. Rohan erhob sich, um hinauszugehen, da sah er, daß Sax an den Tisch zurückkehrte. Der Arzt nahm eine kleine, schwarze Tasche vom Boden auf, öffnete sie, und nun kam jener Apparat zum Vorschein, von dem Rohan schon so oft gehört hatte, der aber bisher in seinem Beisein nie benutzt worden war. Mit ruhigen, fast pedantischen Bewegungen entwirrte Sax die Leitungsstränge, an deren Ende flache Elektroden hingen. Er legte sechs Stück an den Schädel des Toten und befestigte sie mit einem elastischen Band. Dann hockte er nieder und zog drei Paar Kopfhörer aus der Tasche. Er setzte selbst ein Paar auf und drehte, noch immer vornübergebeugt, an den Knöpfen des Apparates,der in einer Hülle stak. Die Augen hatte er geschlossen, sein Gesicht wirkte nun völlig konzentriert. Plötzlich runzelte er die Stirn, beugte sich noch tiefer und hielt den Knopf an und riß sich gleich darauf die Kopfhörer herunter.
»Kollege Nygren …«, sagte er mit sonderbarer Stimme. Der kleine Doktor nahm ihm die Kopfhörer ab.
»Was ist?« flüsterte Rohan mit bebenden Lippen.
Der Apparat wurde, zumindest in der Bordsprache, »Gräberabklopfer« genannt. Bei einem Verstorbenen, bei dem der Tod erst kurz zuvor eingetreten oder der noch nicht verwest war, wie dieser Leichnam infolge der niedrigen Temperatur, konnte man »das Gehirn abhorchen«, oder genauer, den letzten Inhalt des Bewußtseins ermitteln.
Der Apparat sandte elektrische Impulse ins Schädelinnere; sie suchten sich den Weg des geringsten Widerstandes, das heißt, sie liefen an den Nervenfasern entlang, die in der präagonalen Phase eine funktionelle Einheit bildeten.
Die Ergebnisse waren nie sicher, aber es hieß, auf diese Weise sei es mehrmals gelungen, außerordentlich bedeutsame Informationen zu erhalten. In solchen Fällen wie gerade jetzt, da soviel daran lag, zumindest ein wenig das Geheimnis um die Tragödie des »Kondors« zu lüften, war die Anwendung des »Gräberabklopfers« dringend geboten.
Rohan hatte schon geahnt, daß der Neurologe überhaupt nicht mit der Wiederbelebung des Mannes gerechnet hatte, und war eigentlich nur gekommen, um zu hören, was ihnen dessen Gehirn entdecken würde. Reglos stand er da und spürte Trockenheit im Mund und ein dumpfes Herzklopfen, als Sax
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