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Der Unbesiegbare

Der Unbesiegbare

Titel: Der Unbesiegbare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Wänden …«
    »Wenn das die zweite Projektion gewesen wäre, dann hätten sie wohl das ganze Bild bedeckt«, meinte Nygren. »Aber das ist nicht sicher. Bei solchen Engrammen hängt zuviel vom Zufall ab.«
    »Und die Stimme? Dieses … Gestammel?« forschte Rohan verzweifelt.
    »Ein Wort war deutlich zu verstehen: Mama. Haben Sie es gehört?«
    »Ja. Aber da war noch etwas. ›Ala … lala‹. Das wiederholte sich unablässig.«
    »Ja, weil ich die ganze Hinterhauptlappenrinde abgesucht habe«, brummte Sax. »Das heißt die ganze Gegend des akustischen Gedächtnisses«, erklärte er Rohan. »Das war das Ungewöhnliche.«
    »Diese Wörter?«
    »Nein, die nicht. Ein Sterbender kann an alles mögliche denken. Wenn er an seine Mutter gedacht hätte, dann wäredas durchaus normal. Aber sein Hörbereich ist leer. Verstehen Sie?«
    »Nein, keine Ahnung. Wieso leer?«
    »Meistens ist die Untersuchung der Hinterhauptlappen ergebnislos«, erläuterte Nygren. »Dort sind zu viele Engramme, zu viele gespeicherte Wörter. Das ist so, als wollten Sie hundert Bücher auf einmal lesen. Ein Chaos entsteht. Aber er« – er warf einen Blick auf die längliche Gestalt unter dem weißen Laken – »hatte dort gar nichts. Keine Wörter, nur die paar Silben.«
    »Ja, stimmt. Ich habe vom sensorischen Sprachzentrum bis zum Sulcus Rolandi alles abgesucht«, sagte Sax. »Deswegen sind die Silben immer wiedergekehrt. Es waren die einzigen phonematischen Strukturen, die erhalten geblieben sind.«
    »Und der Rest, die anderen?«
    »Sind nicht da.« Sax hob, als hätte er die Geduld verloren, den schweren Apparat so heftig vom Boden auf, daß der Ledergriff knirschte. »Sie sind nicht da, und fertig. Fragen Sie mich bitte nicht, was damit geschehen ist. Dieser Mann hat das ganze akustische Gedächtnis verloren.«
    »Und das Bild?«
    »Das ist etwas anderes. Das hat er gesehen. Er brauchte nicht einmal zu verstehen, was er sah. Ein Fotoapparat versteht auch nichts und hält doch fest, worauf man ihn richtet. Übrigens weiß ich nicht, ob er es verstanden hat oder nicht.«
    »Würden Sie mir helfen, Herr Kollege?« Die beiden Ärzte gingen mit den Apparaten hinaus, die Tür fiel hinter ihnen zu.
    Rohan war allein. Da packte ihn eine solche Verzweiflung, daß er an den Tisch trat, das Laken beiseite schleuderte, dem Toten das Hemd aufknöpfte, das bereits aufgetaut und weich geworden war, und aufmerksam die Brust untersuchte. Er zitterte bei der Berührung, denn sogar die Haut war geschmeidig geworden. Mit dem Auftauen des Gewebeswar eine Muskelerschlaffung eingetreten. Der bis dahin unnatürlich angehobene Kopf war kraftlos hinuntergesunken, als schliefe der Mann wirklich. Rohan suchte an dem toten Körper Spuren einer rätselhaften Epidemie, einer Vergiftung oder Insektenstiche, aber er fand nichts. Zwei Finger der linken Hand spreizten sich, so daß eine kleine, leicht geöffnete Wunde zu sehen war, die zu bluten begann. Die roten Tropfen fielen auf den weißen Schaumgummibezug des Tisches. Das war zuviel für Rohan. Ohne auch nur das Tuch wieder über den Toten zu decken, stürzte er aus der Kajüte, stieß die Leute draußen zur Seite und lief dem Hauptausgang zu, als wäre jemand hinter ihm her. An der Schleusenkammer hielt Jarg ihn an, half ihm, den Sauerstoffapparat umzuschnallen und steckte ihm sogar das Mundstück zwischen die Lippen.
    »Nichts gefunden, Navigator?«
    »Nein, Jarg. Nichts. Nichts!«
    Er merkte nicht, mit wem er im Fahrstuhl war. Draußen heulten die Motoren. Der Sturm war stärker geworden, Sandwolken fegten vorbei und prasselten auf die rauhe, unebene Oberfläche des Schiffskörpers, die Rohan ganz und gar vergessen hatte. Er ging ans Heck, reckte sich auf die Zehenspitzen und tastete das dicke Metall ab. Der Panzer fühlte sich an wie Gestein, verwittertes, altes Gestein, mit harten Knötchen übersät. Zwischen den Transportern erblickte er die hohe Gestalt des Ingenieurs Ganong, versuchte aber gar nicht erst, ihn zu fragen, was er über dieses Phänomen dachte. Der Ingenieur wußte ebensoviel wie er selbst, das heißt nichts. Gar nichts.
    In dem größten Transporter fuhr er mit einem Dutzend Leuten zurück. Er saß in einer Ecke der Kabine und hörte ihre Stimmen wie von fern. Bootsmann Terner sprach von Vergiftung, wurde aber überschrien.
    »Vergiftung? Womit? Alle Filter sind in ausgezeichnetemZustand, die Wasservorräte unangerührt, die Sauerstoffbehälter voll. Lebensmittel im Überfluß …«
    »Habt ihr

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