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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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ja nicht mit Menschenliebe, sondern mit Engelsliebe. Im selben Augenblick aber ertappte der Engel sich bei dem Gedanken, dass es in seiner Liebe auch viel Menschliches gab, offenbar machte sich hier sein Leben unter den Menschen bemerkbar. Er wollte Katja gern umarmen, sie küssen und ihr über ihr helles Haar streichen. Da entschied er sich endlich. Er passte einen Augenblick ab, als Katja allein bei der Winterküche stand, trat zu ihr und sagte:
    „Vielleicht gehen wir heute Abend am Fluss spazieren?“ Gleich darauf errötete der Engel, ganz von innen heraus vor Scham brennend, und wurde verlegen.
    Katja bemerkte das und lächelte.
    „Ja, gut“, sagte sie kokett. „Wann, nach dem Abendessen?“
    Der Engel nickte.
    „In Ordnung“, sagte Katja. „Nach dem Abendessen am Ufer, dort, wo die Räucherei ist.“
    Es war bereits dunkel und still, als der Engel den Hügel zum Fluss hinunterstieg.
    Katja war noch nicht da, und er setzte sich ans Ufer und sah auf das ruhige Wasser, in dem die Sterne zitterten.
    Die Welt ringsum war still wie ein schlafender Säugling.
    Unhörbar hatte sich plötzlich Katja neben den Engel gesetzt, ein schelmisches Lächeln in ihrem schönen Gesicht.
    „So“, flüsterte sie. „Ich bin da …“
    Der Engel schwieg und sah sie an.
    „Weißt du“, flüsterte Katja, die seine Verlegenheit bemerkt hatte. „Der Brigadier hat gesagt, dass sie diesen Sommer hinter der Winterküche ein Schulhaus bauen werden. Zwei Klassen­zimmer mit Fenstern …“
    „Gut …“ Der Engel nickte. „Es gibt schon so viele Kinder …“
    Hier ging ihm ein sündiger Gedanke durch seinen Kopf: ‚Kann ein Engel wohl Vater eines Kindes werden?‘ Und ohne diesem Gedanken zu antworten, verjagte der Engel ihn.
    „Ein Zimmer wird für das allgemeine Lernen sein, das andere für Musik“, fuhr Katja fort.
    Plötzlich hörte der Engel, wie jemand im der Dunkelheit sang. Leise, aber sehr schön. Sanft berührte er Katjas Hand und unterbrach ihre Erzählung.
    Die Lehrerin verstummte, weil sie dachte, der Engel wollte ihr etwas Wichtiges sagen, aber in der Stille hörte nun auch sie das zarte, schöne Stimmchen.
    Jemand sang das Lied von der kleinen Trauerweide.
    „Schön!“, flüsterte der Engel.
    „Das ist Wasja-Buckelchen, der Sohn vom Buchhalter.“ Katja hatte den Sänger erkannt. „Er ist doch Demids Lieblingsschüler.“
    Nach diesen Worten saßen Katja und der Engel schweigend da und lauschten dem in der Dunkelheit singenden Knaben. Und als er verstummt war, saßen sie noch eine Weile und warteten auf ein nächstes Lied.
    „Er ist fortgegangen …“, bemerkte der Engel endlich.
    Im Fluss platschte etwas, es war wohl ein Fisch aus dem Wasser gesprungen. Katja erschauerte und rückte näher an dem Engel heran.
    Wieder sahen sie einander an, und solch ein geringer Abstand zwischen ihnen berauschte sie beide.
    „Willst du mich küssen?“, fragte Katja flüsternd.
    Der Engel spürte ein Zittern in den Händen. Ein selt­samer süßer Schrecken erfasste ihn.
    „Ja …“, sagte er ganz leise.
    Katja neigte sich noch näher zu ihm.
    „Sag ‚Es gibt keinen Gott‘ – und dann küsst du mich …“
    Die Worte verbrannten den Engel wie Feuer. Erstarrt sah er Katja mit weit aufgerissenen Augen an, die sich mit dem ganzen Körper vorgebeugt hatte und die Augen geschlossen hielt. Ihm wurde unheimlich von dieser Nähe, und seinen Wunsch überwindend auf der Stelle zu versteinern rückte er von der jungen Frau ab.
    Sie öffnete die Augen und sah den Engel erstaunt und verständnislos an. Schnell stand sie auf und ging, ohne ein Wort zu sagen, mit zügigen Schritten davon, verschwand in der nächtlichen Dunkelheit.
    Der Engel wollte weinen. Er blickte zum Himmel, und danach sah er sich um, weil er meinte, er hätte in der Nähe jemandes Schritte gehört.
    In dieser Nacht gefiel ihm die Einsamkeit nicht. Er stand auf, sah sich noch einmal um und richtete den Blick auf das trübe Licht im Fenster der Räucherei.
    ‚Sie schlafen noch nicht?‘, wunderte sich der Engel.
    Eine ungekannte Kraft zog ihn zu diesem Häuschen, das da einsam am Fluss stand. Ihm schien, dass er dort in dieser Stunde Wärme und Trost finden würde.
    Er trat an das Fenster, doch unter dem kurzen Vorhang sah er nur einen Tisch und jemandes Hand, die eine Tasse hielt.
    „Wieso verstehst du die Freude nicht?“, drang aus dem Häuschen die Stimme des buckligen Buchhalters heraus. „Was gibt es da zu verstehen? Man muss sie in sich spüren,

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