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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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eilte zur Theke, an der sich tatenlos die stattliche rothaarige Wirtin langweilte.
    ‚Der Krieg?‘, dachte Banow, als er an die Worte des Mannes dachte. ‚Kann sein … Kann sein …‘, und er seufzte schwer.

Kapitel 23
    Über dem stolzen Land stieg die Frühlingssonne empor, sie erfasste mit ihren starken Strahlen Städte und Dörfer, Felder und Wälder, erweckte das Arbeitsleben in allen seinen Formen. Die von der Sonne erwärmten Ströme der Menschen zogen in die Fabriken und auf die Baustellen, die Farmen und in die Versammlungen. Die Sonne indessen stieg aufwärts und rief gleichsam alle mit sich, sie wies den Weg, rief dazu auf, empor zu streben, zur besseren, lichtvollen Zukunft. Und die Menschen richteten ihre Blicke und Gedanken aufwärts. Sie blickten zur Sonne und dachten an das Licht. Sie sahen nicht, wie, ebenfalls zur Sonne strebend, sich über der Erde die von ihrem endlosen Flug ermüdete Kugel erhob, schon zum tausendsten oder zehntausendsten Mal, um zu fliegen und aus der Höhe den Helden ausfindig zu machen, den sie finden und erschlagen musste, um ihren ermüdenden und grausamen Flug zu beenden. Wie viele Male schon hatte sie sich geirrt, war hinunter zu einem Menschen gestrebt, der ihr als der Eine erschien, der mit seinem Tod die vielen anderen Tode abwenden konnte. Doch jedes Mal, wenn sie glatt hindurch gedrungen war und den nicht mehr atmenden Körper hinter sich auf der Erde zurückließ, erkannte die Kugel, dass sie sich aufs Neue geirrt hatte und der von ihr getötete Mensch weder ein Held, noch ein Gerechter gewesen war. Und wieder erstreckten sich die endlosen blauen Weiten des Himmels vor ihr, und unter ihr lagen die gleichen Weiten der Erde. Über dem stolzen Land stieg die Frühlingssonne empor, und die Kugel, die ihr aufwärts folgte, betrachtete die Erde, um jeden Augenblick herabzustürzen und mit einem Pfeifen dem nächsten Menschen entgegen zu jagen, der ihr des Todes, den sie mit sich trug, würdig erschien. Unten tauchten die hohen Masten der Stromleitungen auf. Und die Kugel erblickte den Montagearbeiter, der furchtlos am höchsten Punkt der gewaltigen Metallkonstruktion eines Mastes arbeitete. ‚Vielleicht ist er es!‘, dachte die Kugel, sammelte all ihre Energie und schoss hinunter, dem unbekannten Auserwählten entgegen.

Kapitel 24
    Der Morgen war unfrühlingshaft düster. Schwere schwarze Wolken hingen tief über der Erde, und erstaunlich war nur, dass der Regen noch nicht zu fallen begonnen hatte.
    Der Leiter der Arbeiterbaracke, Sanabajew, ein einbeiniger Invalide, der gern grundlos aus Leibeskräften fluchte, klopfte mit dem Holzbein an die Sperrholztür und rief: „Tee!“
    Dobrynin stand von seinem Bett auf, streckte sich und trat an das kleine Fensterchen. Dann wandte er sich um. Waplachow lag noch immer da und blickte an die graue, von Wasser­flecken gemusterte Decke.
    „Was ist, willst du keinen Tee?“, fragte der Volkskontrolleur.
    „Doch.“
    Nachdem sie sich angekleidet hatten, gingen sie aus dem ersten Stock hinunter in die Arbeiterkantine, schenkten sich jeder eine Tasse ein und nahmen an dem langen verzogenen Holztisch Platz. An demselben Tisch saßen an der anderen Seite drei ältere Frauen und ein kleingewachsener alter Mann und bliesen auf ihren Tee – Arbeiter des Gasmaskenwerks der Fabrik N. Den alten Mann kannte Dobrynin. Er hieß Stepan Stepanytsch; jeden Morgen brachte er zehn Gasmasken in ihr Kontrollbüro, zwei aus jeder Partie.
    „Stepanytsch“, rief Dobrynin dem Alten zu. „Es wäre gut, wenn du uns ein paar Burschen zu Hilfe schicken würdest, sonst schaffen wir die Kontrollnorm nicht!“
    „Schick ich euch, Pawluscha, schick ich euch“, versprach der Alte. „Nur heute nicht. Ich schick sie euch morgen.“
    Dobrynin seufzte und richtete seinen Blick in die Tasse. Der neue Tag versprach abermals lang und mühsam zu werden.
    Eine halbe Stunde später schrieben sich Dobrynin und Waplachow in das Fabrikbuch ein, wo die Ein- und Ausgänge verzeichnet wurden. Sie betraten ihr Kontrollbüro und zogen schwarze Arbeitsanzüge an. Dobrynin öffnete ein Ventil, das Gas in die Testkammer einließ. Dann setzte er sich an den Tisch.
    Das Kontrollbüro zeichnete sich durch besondere Enge aus, denn es war nichts als ein kleiner Flur zwischen dem Eingang und einer schweren Eisentür mit Gummidichtungen um den Rahmen; hinter dieser zweiten Tür verbrachten der Volkskontrolleur und sein Gehilfe nun ihre Arbeitstage beim trüben Schein eines

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