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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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die Beine zu kommen. Und Mark versuchte es auch, doch der Schmerz im rechten Bein war so stark, dass er aufschrie und sich wieder hinsetzte.
    Eine Stunde später lag er auf einer Liege im Häuschen des Wächters der Zuckerfabrik N., in dem man ihm und Parlachow zwei Tage zu bleiben erlaubte.
    Der örtliche Hilfsarzt sagte, nachdem er sich das Bein angesehen hatte: „Zehn zu eins, dass es gebrochen ist! Sie müssen ins Lazarett.“
    „Unbedingt?“, fragte Mark.
    Der Hilfsarzt zuckte mit den Schultern.
    „Kann ich denn Kusma mitnehmen?“
    „Wohin mitnehmen?“
    „Ins Lazarett.“
    „Nein“, mischte sich da Parlachow ins Gespräch. „Was soll er denn dort?“
    Nach der darauf folgenden Pause verkündete Mark entschieden, dass er nicht ins Lazarett wollte.
    Der Hilfsarzt schwieg, kratzte sich die bläuliche Nase und ging hinaus, nachdem er noch ein letztes Mal mit den Schultern gezuckt hatte.
    Mark fühlte sich schlecht. Sein Bein schmerzte.
    „Ich gehe jetzt abendessen!“ Sein Hüter erhob sich von der Pritsche und warf dem Künstler einen unfreundlichen Blick zu.
    „Und ich?“, fragte Mark.
    Parlachow seufzte – auf einmal war in ihm die irgendwo tief in seinem Innern verborgene Gutherzigkeit erwacht.
    „Na gut, ich bring dir was“, sagte er.
    Die Tür schlug zu. Kusma, der im Käfig saß, drehte seinen Schnabel in Richtung des hinausgegangenen Hüters, dann sah er seinen Herrn an.
    Mark begriff – der Vogel hatte Hunger. Es waren zwei Schritte bis zum Käfig, der auf dem Boden stand, bis zum Beutel mit den Körnern war es einer, vielleicht weniger. ‚Nur gut, dass noch Wasser in der Tränke ist‘, dachte der Künstler.
    Kusma wandte indessen seine Knopfaugen nicht von seinem Herrn, als wartete er auf irgendetwas.
    Mark bewegte sich ein wenig und stöhnte sofort unter dem Schmerz, der über ihn hereinbrach.
    Kusma trat von einem Fuß auf den anderen und wandte sich ab.
    Als der Schmerz etwas nachließ, sah Mark wieder auf den Vogel, den niemand gefüttert hatte.
    ‚Nein, ich bin kein Schmarotzer‘, dachte er. ‚Ich kümmere mich um Kusma, ich leide mit ihm …“
    Und nachdem er noch ein Mal den Abstand zwischen sich und dem Körnerbeutel mit scharfem Blick abgeschätzt hatte, streckte er den Arm aus, biss die Zähne fest zusammen und glitt von der Liege. Als er auf den Boden fiel, war er schon ohne Bewusstsein – der Schmerz hatte ihn überwältigt.

Kapitel 21
    Mit der Ankunft des Frühlings zogen abermals Dutzende von Flugzeugen über das Neue Gelobte Land hin, der Sonne entgegen.
    Die Aussaat war in vollem Gang, und bis spät abends arbeiteten die Menschen auf den Feldern und achteten auf nichts. Nahezu jeden Tag kamen Traktoren aus der nahen Kolchose gefahren, um den Siedlern zu helfen. Nach der Arbeit stiegen alle auf den Hügel, wo unter dem sternenübersäten Himmel bereits die gedeckten Tische standen. Sie aßen, und danach lauschten sie dort den Volksliedern und allerlei fröhlichen Melodien, die Demid Polubotkin auf der Ziehharmonika spielte. Spät nachts erst kehrten die Traktorfahrer zu ihren Traktoren zurück, die sie unten am Hügel abgestellt hatten, sie starteten sie und fuhren in ihre heimatliche Kolchose zurück. Und die Siedler gingen schlafen, die Nächte waren kurz, und die müden Muskeln verlangten nach ernsthafter Ruhe.
    Demid Polubotkin legte sich ein wenig später schlafen – er brauchte am Tag nicht ins Feld zu gehen. Gern saß er in der vollkommenen nächtlichen Einsamkeit da, dachte nach und entschied, was er morgen den Kindern erzählen würde. Denn jetzt arbeitete er als Lehrer für Musik und Singen, gemeinsam mit Katja zog er die künftige Generation von Siedlern heran.
    Der Engel saß ebenfalls nachts gern in der Einsamkeit und dachte an Katja.
    Manchmal saßen er und Demid beieinander. Dann redeten sie über allerlei. Irgendwann erzählte der Engel, weil er Zutrauen zu ihm fasste, Demid von seinen Gefühlen für die Lehrerin.
    „Wieso behältst du alles für dich?“, wunderte sich Demid. „Verabrede ein Stelldichein und erklär dich ihr. Bist du ein Mann oder nicht?“
    „Wie verabredet man das denn?“
    „Na, du machst mit ihr aus, sagen wir, dass ihr euch nach dem Abendessen am Fluss trefft, wenn alle schlafen gehen … Dort erklärst du dich und gestehst ihr deine Liebe!“, sagte Polubotkin, wobei er herablassend lächelte.
    Danach überdachte der Engel einige Tage lang Demids Worte. Jedes Mal regte sich ratlose Bestürzung in ihm, denn er liebte Katja

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