Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
Vom Netzwerk:
so, dass es im Bauch wie Krämpfe ist …“
    „Ich kann nicht“, antwortete eine Stimme dem Buchhalter. „Mich macht alles im Leben traurig, ich hätte es ja auch gern anders …“
    „Du hast keine Träume in dir, Pjotr!“, sagte eine dritte Stimme fest. „Du musst dich ändern, sonst stirbst du früh!“
    Der Engel setzte sich unter das Fenster, das Gespräch, das er hörte, interessierte ihn.
    „Wie denn ändern? Hier, ihr habt mir schon eine Hand geändert!“, sagte Pjotr gekränkt.
    „Wenn du nur nachts die Sterne anschauen würdest, das würde schon etwas nützen“, erklang die Stimme des Buchhalters.
    „Die Sterne?“, fragte Pjotr nach.
    „Ja, genau“, sagte der Buchhalter.
    Der Engel legte den Kopf in den Nacken und sah zum Himmel hinauf. Die Sterne flimmerten an ihm wie Mücken vor einer Kerze am Abend. Plötzlich stürzte einer der hellen Sterne herunter, beschrieb einen langen Bogen und erlosch.
    ‚Genauso wie ich‘, dachte der Engel. ‚Nur bin ich ja hier angekommen! Ich bin angekommen!‘ Ihm wurde ruhiger zumute, er tröstete sich an diesem Gedanken und streckte sich unter dem Fenster der Räucherei im Gras aus. Er lauschte dem sich fortsetzenden Gespräch wie einem süßen mütterlichen Wiegenlied.

Kapitel 22
    Der Moskauer Winter verging im Flug und schmolz dahin. Er floss in Bächlein von den Leninbergen herab, versammelte sich zu Pfützen und versickerte in der Erde. Es begann der Frühling, erfüllt von frohen Kinderstimmen, knielangen kurzen Kleidchen und Röcken, und Frauenfrisuren nach der neuesten Mode.
    Banow erwartete mit Ungeduld die Frühlingsferien, die auch ihm eine freie Woche versprachen. Sehr gern wollte er Klara irgendwohin bringen, ein Stück weit fort aus Moskau. Es schien Banow, dass Klara in dieser großen und schönen Stadt dahinwelkte. Nachdem sie als Sekretärin bei einem in Moskau lebenden tadschikischen Volksdichter gearbeitet hatte, hatte Klara einen anderen Arbeitsplatz im Archiv der Staatlichen Historischen Bibliothek gefunden. In den ersten Tagen war sie aus dem Archiv fröhlich und begeistert zurückgekommen, mit Augen, in denen Gedankenfunken leuchteten. Doch allmählich war ihr Blick erloschen, war ihr Gesicht blass geworden. Da begann Banow zu vermuten, dass diese Veränderung vom gefährlichen Bücherstaub herrührte, der in Wahrheit aus einem zerstäubten, in der Luft gelösten Bücherpilz, einer echten Bakterie also, bestand. Über diesen Pilz hatte er in einer wissenschaftlichen Zeitschrift gelesen und ihn seither nicht vergessen können. Als er bei Klara bereits eingezogen war und seine Bücher und Sachen mitgebracht hatte, ging er einmal in der Woche mit einem feuchten Lappen über die Umschläge und Rücken aller Bücher, die sich in seiner bescheidenen Bibliothek befanden. Und in Klara Rojds Gesicht sah er gleichsam den Beweis für die Richtigkeit jenes wissenschaftlichen Artikels.
    Endlich war die Zeit der Ferien da. Banow versammelte alle Lehrer und versiegelte gemeinsam mit Vizedirektor Kuschnerenko alle Klassenräume und Büros, ganz am Ende versiegelten sie auch sein Direktorzimmer. Danach verabschiedeten sie sich und wünschten einander eine gute Erholung.
    Noch am selben Abend kaufte Banow zwei Fahrkarten für den Zug „Moskau-Leningrad“.
    Auf dem Heimweg ging er in einer Wodkastube vorbei. Obwohl er nicht die Gewohnheit hatte zu trinken, ging er aus irgendeinem Grund doch hinein. Er trat ein, bestellte ein kleines Glas Wodka, stellte sich in eine Ecke und dachte nach. Seine Gedanken waren nervös und zitterten von innerer Anspannung.
    ‚Wo bist du nur, Freund Karpowitsch?‘, dachte Banow. ‚Was ist los mit dir? Und was geschieht dort unten mit meiner Aktentasche? Haben sie sie gefunden? Vermutlich nicht, denn wenn sie sie gefunden hätten, dann hätten sie mich schon irgendwo einbestellt …‘
    „He, Genosse!“, flüsterte jemand neben ihm.
    Banow löste den Blick von der Theke mit den leeren Gläsern und drehte sich um. Vor sich sah er einen kleingewachsenen, einfachen Mann mit wild wuchernden grauen Stoppeln im Gesicht.
    „Genosse“, begann der Mann wieder, als er Banows Blick auffing. „Gib mir Geld für ein Gläschen, sonst kommt der Krieg hierher, und man schafft es nicht mehr auszutrinken!“
    Banow grub in der Tasche seines weiten Mantels, zog blindlings eine Handvoll Münzen heraus und schüttete sie in die auf Bettlerart ausgestreckte Handfläche des Mannes.
    Der grunzte etwas, wohl Worte der Dankbarkeit, und

Weitere Kostenlose Bücher