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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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glänzenden kupfernen Teekessel auszuschenken.
    Als der Papagei den Dampf über der Tasse seines Herrn erblickte, trat er zur Tasse und schmiegte sich mit seiner Flanke daran. Anscheinend wollte er sich ein wenig wärmen.

Kapitel 25
    Der Mairegen strömte am Fenster entlang, während Schuldirektor Banow in seinem Büro saß und Tee trank. Dabei sah er das außerschulische Programm für die Klassen durch, das ihm Vizedirektor Kuschnerenko zur Bestätigung vorgelegt hatte. Sein Blick überflog die trockenen, knappen Zeilen: „Besuch des Kinotheaters“, „Besuch des Museums“, „Begegnung mit dem ersten Kolchosbauern“ und ähnliches. Plötzlich zog eine Zeile die Aufmerksamkeit des Direktors auf sich.
    „Besuch des Mausoleums“, las Banow und verzog den Mund.
    Er legte das Programm fort und dachte nach. Er dachte an den Kremlträumer, dachte an seinen verschwundenen Freund Karpowitsch und auch an die Aktentasche, die er auf dem Hügel dort unten zurückgelassen hatte. Seine Finger trommelten nervös auf die Tischplatte.
    Er blickte aus dem Fenster, dann auf den Kalender an der Wand.
    Er trank einen Schluck von dem leicht erkalteten Tee.
    Irgendeine Kraft drehte seine Gedanken um und um und brachte immer wieder denselben Gedanken dazu, an seinem Verstand zu zerren.
    ‚Du musst hinunter und nach der Aktentasche sehen!‘, wiederholte dieser Gedanke schwermütig. ‚Vielleicht findest du dort auch Karpowitsch! Vielleicht ist er dort geblieben …‘
    Um seiner selbst und seiner Gedanken irgendwie Herr zu werden, schlug Banow mit der Faust auf den Tisch, blickte auf die Uhr und erhob sich entschlossen.
    Er warf die dunkelblaue Pelerine über und verließ, ohne jemandem ein Wort zu sagen und ohne das außerschulische Programm zu unterzeichnen, sein Büro.
    Der Regen fiel unaufhörlich, er trommelte geradezu auf einen ein.
    In der Dajew-Gasse war es menschenleer, und nicht einmal Autos fuhren. Aber als Banow auf die Sretenka hinaus trat, tauchten bereits sowohl Menschen als auch Autos auf. Er musste sich im Gehen an die Hauswände drücken, damit die Spritzer und der Schmutz, die unter den Wagenrädern hochflogen, nicht auf seine Pelerine fielen.
    Was für eine Kraft führte ihn? Und wohin? Er verstand es selbst nicht, während er über die nassen Gehwege lief, ohne zu Boden zu blicken und ohne auf den Regen zu achten, der noch stärker geworden war.
    Er betrat den Roten Platz. Ja er betrat ihn nicht einmal, sondern ein unsichtbarer Strom trug ihn zu der Richtstätte, wo Banow kurz bei dem ihm bekannten Milizionärsposten Halt machte und mit einem Kopfnicken grüßte. Er sagte kein Wort und hörte auch die Frage, die der Milizionär sich schon zurechtgelegt hatte, nicht mehr, er eilte weiter zum Kremltor, begleitet von dem verwunderten und ein wenig gekränkten Blick des Milizionärs, der in diesem Augenblick echten Hunger nach einem einfachen menschlichen Gespräch litt.
    Er fand das bekannte niedrige Gebäude, das sich hinter den blauen Kremltannen verbarg, ging durch die offene Tür und stieg, ohne unterwegs jemandem zu begegnen, die Stufen des engen unterirdischen Tunnels hinab, über die er bis dahin nur zweimal gegangen war.
    Er blieb einen Moment lang beim Schacht des Postaufzugs stehen. Es war still. Offenbar arbeitete der Aufzug in diesem Augenblick nicht.
    Da ging Banow weiter die Stufen hinunter.
    Er ging eine halbe Stunde lang.
    Schließlich öffnete er eine Tür und befand sich in dem bekannten geräumigen Zimmer ohne Möbel, nur ein Stuhl stand dort, und Plakate hingen an den Wänden.
    Er öffnete noch eine weitere Tür und stand auf der Schwelle des niedrigen einstöckigen Gebäudes, das der Zwilling zu jenem war, das sich hinter den Tannen im Kreml verbarg.
    Die Sonne schien. Vögel sangen. Fächerförmig liefen von der Schwelle aus gut ausgetretene Pfade über das Gras davon. Vor ihm leuchtete grüner Wald, zu den Seiten ragten baumlose Hügel auf, und ein Hase oder anderes Tier lief in Sprüngen über das Gras.
    Banow verschlug es den Atem. Reglos stand er auf der Schwelle, während er auf die Stille lauschte. Die unsichtbare und unbekannte Kraft, die ihn hergetrieben und den ganzen Weg über von hinten geschoben hatte, war plötzlich verschwunden, und er war wieder er selbst. Deshalb erfasste ihn auch ein kleiner Schrecken.
    ‚Was tun?‘, fragte ihn ein eigener hilfloser Gedanke.
    „Was tun?“, wiederholte er langsam flüsternd und sah sich um.
    Irgendwo ertönte eine Stimme, und Banow eilte

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