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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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nicht schlecht“, antwortete der Kremlträumer, während er den Henkelmann von dem Soldaten entgegennahm. „Hast du zufällig etwas gehört, mein Lieber, es heißt, ein Mensch sei hier verloren gegangen … mit Namen Karpowitsch … Nein?“
    Und der Alte sah den Soldaten mit zusammengekniffenen Augen scharf an.
    Der Soldat überlegte und sah zum Himmel, als würde er sich an etwas erinnern.
    „Vor fünf Monaten wurde hier jemand gesucht“, erzählte der Soldat mit einem Nicken. „Man hat ihn anscheinend nicht gefunden … Es war ein aushilfsmäßiger Kurier … Sonst ist anscheinend niemand verschwunden.“
    „Hast du mir übrigens eine Zitrone mitgebracht?“, fragte der Kremlträumer.
    „Oh, fast hätte ich es vergessen, natürlich habe ich das!“ Der Soldat zog eine große gelbe Zitrone aus der Tasche seiner Uniformhose und reichte sie dem Alten.
    „Danke! Danke, mein Lieber!“ Der Alte freute sich.
    Als der Soldat gegangen war, kehrte Banow aus der Laubhütte zurück ans Feuer.
    Der Alte zog zwei Löffel aus der inneren Tasche seines Sakkos: einen Suppenlöffel und einen Teelöffel. Den Tee­löffel gab er Banow.
    „Kommen Sie, wir essen, mein Lieber. Sie haben bestimmt Hunger?“
    Als Erstes gab es Borschtsch. Sie schlürften ihn gemeinsam aus einer Schüssel. Der Alte angelte mit seinem großen Löffel alle Gemüseeinlagen und Fleischstücke, und Banow blieb nur die Brühe, weil alles Übrige von seinem Teelöffel immer herunter fiel.
    Sie aßen schweigend.
    Als sie sich an den Hauptgang machten, usbekischen Plow, wurde der Alte munter. Man muss sagen, dass auch Banow munterer wurde, denn mit dem Teelöffel an den Plow heranzukommen war leichter: nun bekam er sowohl vom Reis als auch vom Fleisch etwas ab.
    „Was werden Sie jetzt weiter machen?“, fragte der Kremlträumer, Plow kauend.
    „Ich gehe wieder nach oben …“, sagte Banow unsicher, obwohl er sich noch nicht konkret vorstellte, wie er das alles bewerkstelligen könnte, denn es war ihm klar, dass er unterwegs zu den Wiesen unter dem Kreml nur durch ein Wunder nicht erwischt worden war. Ein zweites Mal rechnen aber nicht einmal Dummköpfe mit einem Wunder.
    „Bleiben Sie hier“, sagte plötzlich der Alte. „Was gibt es denn oben für Sie zu tun?“
    Erstaunt blickte Banow den Alten an.
    „Sonst erwischt man Sie noch …“, fuhr der Kremlträumer fort. „Wie heißen Sie eigentlich?“
    „Wasil Wasiljewitsch Banow.“
    „Na, also, Wasilij Wasiljewitsch, was haben Sie dort oben zu tun? Bleiben Sie! Wir werden reden und träumen. Vielleicht schreiben wir ein paar Thesen zusammen auf?“
    Banow zuckte die Schultern.
    „Ich habe dort noch die Genossin Klara …“, sagte er.
    „Ach wissen Sie, ich habe dort auch noch viele Genossen … Aber das macht doch nichts …“
    Zum Nachtisch gab es für sie ein festes Gelee von Moosbeeren.
    Sie stachen es mit den Löffeln ab, der Alte mit seinem Suppenlöffel und Banow mit seinem Teelöffel.
    Über ihnen schien die Sonne. Am strahlend blauen Himmel flogen Vögel, und einer von ihnen, eine Lerche, flog weit hoch hinauf, höher als die anderen, und begann so wunderschön dort zu singen, dass der Alte und Banow ihr versunken lauschten.
    „Siehst du, wie schön es hier ist“, sagte der Kreml­träumer danach. „Kein normales Leben, sondern schlichtweg das Paradies! Bleib hier!“
    Banow, durch das Lied der Lerche weich geworden, nickte zustimmend.

Kapitel 26
    Der Frühlingsatem begann mit trockenen Maiwinden. Zwei Gewitter donnerten über das Neue Gelobte Land, und dann wurde es wieder trocken. Das Grün der Felder aber verlor nicht seinen Glanz, und der kleine Fluss, der zwischen dem Hügel und dem Wald dahineilte, trocknete nicht aus; also regnete es an jenen Orten, von wo er kam, und mit der Natur war alles in Ordnung.
    Die Siedler arbeiteten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Sie tranken jetzt weniger, denn ihnen blieb keine Zeit. Nur der Brigadier der Bauarbeiter, der auch nach Winterende seine schmutzige Wattejacke noch nicht ausgezogen hatte, lief immer angetrunken, jedoch mit geschäftigem Schritt umher.
    Der bucklige Buchhalter war gleichfalls sehr beschäftigt. Mit seinem dicken Heft unter dem Arm und einem Bleistiftstummel in der Hand, kam er einmal aufs Feld, dann wieder in den Stall zu den Kühen, dann auch zu den Bauarbeitern, die mit ihren Schaufeln hinter der Winterküche einen Platz für die künftige Schule ebneten. Er kam und trug in seinem Heft ein, wer wie mit Namen

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