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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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blickte ebenfalls zu der Lampe. „Er will zum Licht!“
    Der angenehme warme Duft von geräuchertem Fleisch wehte durch die Luft.
    Pjotr rutschte auf seinem Hocker hin und her und wandte den Kopf.
    „Ich glaube, es ist fertig!“, sagte er.
    „Ja, ja, wird wohl fertig sein“, brummte Sachar, wobei er sich erhob.
    Da erhob sich auch Pjotr, und eilig verließen sie den Tisch. Irgendwo ganz nah hinter der Wand klangen ihre Stimmen und ihr Stöhnen: Dann fiel etwas zu Boden, und Sachar fluchte. Zur Antwort ertönte beschwichtigend die Stimme von Pjotr.
    Der Engel saß nun allein am Tisch. Die Gedanken waren fort. Sein Herz war leicht, aber nicht froh.
    Nach fünf Minuten kamen Sachar und Pjotr zurück. Sachar stellte eine Schüssel mit einem Stück Räucherfleisch in die Mitte des Tisches und legte drei Messer mit hölzernen Griffen daneben.
    „So lecker ist es bisher noch nie geworden!“, sagte er mit Stolz. „Das kommt natürlich alles vom Holz. Davon, was für Holz du auflegst: Wenn es Geruch hat, dann geht dieser Geruch beim Verbrennen ins Fleisch über und gibt Geschmack. Und diesmal habe ich noch Blätter von wilden Himbeeren drangetan …“
    Er nahm eines der Messer, stach zuerst in das Fleischstück hinein und schnitt dann so, dass eine Scheibe sich von ihm löste und aus der Schüssel auf den Tisch fiel. Mit kräftigen, dicken Fingern nahm Sachar es und begann konzentriert zu essen.

Kapitel 27
    Der Frühling hinter dem Ural gewann zusehends an Kraft. Während Mark Iwanow von einem Städtchen des Hinterlandes ins andere reiste, genoss er den Anblick des Grüns, der Wald- und Wiesenblumen und freute sich, wenn er den Gesang der Lerchen und einfach die Rufe der wilden Vögel hörte. In den Nächten, wenn er oft vom Ächzen des Drahtgeflechts unter der Matratze aufwachte, lag er reglos da, hielt den Atem an und horchte auf die Stille, die manchmal von den Geräuschen der Natur durchbrochen wurde: vom Wind, vom Regen oder einem unsichtbaren Tier. In manchen Arbeiter­wohnheimen oder in Bauernhäusern, in denen sie übernachteten, hausten Mäuse. Dort lauschte Mark in den Nächten ihrem hastigen Getrappel und ihrem Piepsen. Irgendwie hatte er sich mit seinem schweren Leben abgefunden und hatte sich sogar abgefunden mit der Augenbinde aus dunklem Stoff.
    Der Krieg ging nun schon ins fünfte Jahr. Fünf Jahre lang waren er und Kusma über die Straßen des Krieges gezogen. Zwar führten ihre Straßen seit der Verwundung nicht mehr an der Front entlang, sondern durch das Hinterland, leichter wurde es jedoch dadurch nicht.
    Auch in dieser Mainacht lag Mark in einer kleinen Kammer im zweiten Stock eines Arbeiterwohnheims irgendeiner Fabrik. Neben ihm schnarchte sein Hüter Parlachow, auf dem Tisch schlief der Papagei Kusma in seinem Käfig.
    Mark lag hingegen da, mit angehaltenem Atem, und lauschte der Stille. Er lag unter dem Fenster, und schrecklich gern wäre er aufgestanden und hätte durch dieses kleine Fensterchen hinaus geschaut, doch Mark fürchtete das Quietschen des Drahtgeflechts unter der Matratze, fürchtete, den Papagei zu wecken, der Erholung ebenso nötig brauchte wie die Menschen. Er fürchtete auch, Parlachow zu wecken.
    Die Stille war durchsichtig, wie aus Kristall. Außerdem war sie warm und, so schien es dem Künstler, geradezu zärtlich. Er lauschte auf sie und erinnerte sich an seine Kindheit und auch an die Jahre vor dem Krieg. Er erinnerte sich an alles Schöne und selbst das weniger Schöne. Er erinnerte sich, wie er einmal im Zug in einem Abteil gereist war, das von Erdöl durchtränkt gewesen war. Damals, und das war vor dem Krieg, war Mark über dieses verschüttete Erdöl ganz verzweifelt gewesen. Doch jetzt erinnerte er sich leichthin an alles und musste sogar wehmütig lächeln.
    Parlachow regte sich und schnarchte lauter, nach fünf Minuten verstummte er wieder und schnaufte nur noch ein wenig.
    Mark hatte den Augenblick genutzt und sich auf sein Bett gestellt, er beugte sich zum Fenster. Über sich sah er den tiefblauen Himmel mit goldenen Mustern aus Sternen. Mark versuchte einzelne Sterne zu erkennen, doch das gelang ihm nicht – die Augen fingen zu schmerzen an, und er schloss sie eine Zeitlang, während er sich mit den Händen am Fensterbrett festhielt. Dann schlug er sie wieder auf und sah zum Himmel hinauf. Wieder waren goldene Muster aus Sternen­ansammlungen zu sehen, die Sterne selbst konnte Mark jedoch nicht unterscheiden.
    ‚Etwas ist mit meinen Augen‘, dachte er.

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