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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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in ihm aufgestiegen war, soeben irgendwohin verschwand. Nicht, dass Fügsamkeit anstelle der Empörung eingetreten wäre, es war irgendein anderes, gesünderes Gefühl. Da breitete er die Arme aus, blickte Fomitschew an und sagte: „Na, wenn so nun die Vorschrift ist …“
    Fomitschew hob sein Glas: „Auf die Veränderungen zum Besseren!“
    Sie tranken, und da sie nichts zum Kauen dazu hatten, schnupperten sie an ihren Händen. Die Hände rochen natürlich nach Talk und nach Gummi.
    „Morgen geht ihr zur Kaderabteilung, ihr füllt Personal­bögen aus, und ich setze euren Lohn fest“, sagte Fomitschew. „Es geht ja wirklich nicht, dass ihr nun weiter umsonst arbeitet!“
    Waplachow nickte.
    Dobynin dachte an das Geld, und ihm wurde nicht recht froh zumute. Noch niemals hatte er Geld nötig gehabt. Es genügte, hier und da seine Vollmacht vorzuzeigen, dann erhielt er das Wenige, das er gerade benötigte. Und jetzt, nach so vielen Jahren, bot man ihm plötzlich Geld dafür an, dass er der Heimat treu diente. Am liebsten hätte der Volkskontrolleur etwas Scharfes und Lautes gesagt.
    „Wie denn das – für Geld?“, fragte er.
    „Dort steht es doch“, der Direktor wies mit dem Kinn auf das Dokument auf dem Tisch. „Dass die Verteilung von Lebensmitteln und Waren an Träger von Vollmachten mit dem 1. August dieses Jahres aufhört …“
    Diese Neuigkeit war für Dobrynin ein wahrhafter Schlag. Er setzte sich auf seinen Besucherstuhl und seufzte schwer.
    „Alles wird gut, ihr werdet schon sehen!“, versprach Fomitschew. „Bei mir war es ganz genauso, als ich den Befehl erhielt, von meinem Posten als Leiter eines Eisenbahndepots auf den Direktorsposten in dieser Fabrik zu wechseln. Ich hätte, ehrlich gesagt, beinahe geweint. Aber seht ihr, hier bin ich, und alles ist in Ordnung.“
    Auf dem Rückweg von der Arbeit nahmen Dobrynin und Waplachow den langen Weg am Flussufer entlang. Der kleine Pfad verlief zehn Meter vom Wasser entfernt. Vor ihren Augen färbte die untergehende Sonne sich rot, der leichte Wind, der vom Fluss her wehte, war wohltuend feucht.
    „Jetzt bist du auch ein Volkskontrolleur, wie ich“, sagte Dobrynin nachdenklich zu Waplachow. „Ich gratuliere …“
    Waplachow hatte das Dokument von Anfang an gefallen, und seine Stimmung war nicht dieselbe wie die seines alten Freundes und Genossen Dobrynin. Aber da er den Zustand seines Freundes verstand, wollte Dmitrij Pawel irgendwie aufmuntern, er wollte gern etwas Erfreuliches zu ihm sagen.
    „Weißt du was“, sagte der Urku-Jemze. „Komm, wir baden im Fluss.“
    Dobrynin blieb stehen und sah Waplachow aufmerksam an.
    „Kannst du denn schwimmen?“, fragte er.
    „Nein. Aber du kannst doch?“
    „Ich? Ich kann schon … Na gut, also los“, stimmte Dobrynin zu.
    Die folgenden Tage unterschieden sich, was die Arbeit anging, nicht von den vorherigen, doch in das Leben des Volkskontrolleurs Dobrynin war etwas Neues hereingebrochen. Diese Neue begann mit den 450 Rubeln Lohn, die er von dem Kassenverwalter der Fabrik erhielt. Dobrynin legte das Geld in seinen Schultersack, ohne ihm große Bedeutung beizumessen und ohne einen Grund dafür zu sehen, es zu verwenden. Waplachow aber, im Gegenteil, ging noch am selben Tag in einen Laden und kaufte sich ein Sakko und eine Mütze. Nach ein paar Tagen betrat Direktor Fomitschew den Raum der Volkskontrolle mit einer großen Brünetten, die sich als Vorsitzende des Gewerkschaftskomitees erwies. Diese Brünette, sie hieß Serafima Iljinitschna, nahm die Volkskontrolleure in die Gewerkschaft auf und bat sie, auch umgehend die Mitgliedsbeiträge zu bezahlen. Dobrynin hatte kein Geld bei sich, und Waplachow bezahlte für ihn. Danach gratulierte der Direktor seinen Freunden zum Eintritt in den Sowjetischen Gewerkschaftsbund, wünschte ihnen Siege und ging hinter der Brünetten hinaus, ohne auch nur nach dem heutigen Ausschuss zu fragen.
    Der Ausschuss hatte sich inzwischen fast auf Null verringert. Die kleineren und größeren Löchlein klebten die Kontrolleure selbst zu, und nun sortierten sie nur jene Erzeugnisse aus, die nicht zu retten waren. Am häufigsten waren das Rotarmisten und Arbeiter mit nicht verklebten Nähten.
    An den Abenden aßen die Volkskontrolleure immer öfter im Wohnheim zu Hause, der Urku-Jemze kochte ihr Essen, und das schmeckte besser als das Kantinenessen. Bald hörte die Fabrikkantine auch überhaupt damit auf, Abendessen zuzubereiten, denn das Leben besserte sich und die Menschen

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