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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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liegend, warten, bis der Soldat wieder fortgegangen war.

Kapitel 33
    Unter der hellen Sommersonne wuchs, blühte und grünte alles. Die Vögel sangen, das Flusswasser wärmte sich auf, und die Fische, die Kühle liebten, legten sich auf den schlammigen Grund.
    Als es wahrhaft heiß wurde, erstarb das Leben bis zum Abend, bis zur kühlenden Dämmerung. Und da endlich setzte Frische ein. Selbst der Kugel fiel es leichter, ihren end­losen Flug fortzusetzen, obgleich nun in der Dunkelheit die Aussichten, einen Helden zu finden, auf Null sanken. Dennoch flog die Kugel, tief und ohne Hast, in jedes erleuchtete Fenster der Dörfer und Städtchen spähend, über die ihr Flug sie führte. Doch nichts gab es hinter diesen Fenstern, was die Aufmerksamkeit der Kugel hätte erregen können, und sie flog weiter, wobei sie sich zusehends der Erde näherte. Die Jahre hatten ihre Seiten grün verfärbt, oxydiert durch ständigen Regen und Luftfeuchtigkeit, und wie froh wäre die Kugel gewesen, hätte sie anhalten und sich für immer in die weiche, nachgiebige Erde eingraben können. Doch dazu musste sie zuerst einen Helden finden und in ihm stecken bleiben. So flog sie immerzu auf der Suche nach einem Helden, den es auf dieser Erde vielleicht nicht einmal gab, denn ihr Flug dauerte schon dreißig Jahre, vielleicht auch mehr; hinter ihr lagen Millionen von Kilometern und Tausende irrtümlich getöteter Nicht-Helden, die die Kugel entweder mit Orden und Medaillen auf der Brust oder mit ihrem ungewöhnlichen Verhalten getäuscht hatten. Und ihr Flug, der ebenso zielstrebig wie freudlos war, führte sie immer weiter und weiter.

Kapitel 34
    Es schien, als wäre der Krieg erst gestern zu Ende gegangen, doch das normale Leben nahm täglich mehr Fahrt auf, und Mark Iwanow reiste aufs Neue durch das aus der Asche wiedererstandene Land, trat mit Kusma in Fabriken und auf Baustellen auf, in Schweinefarmen und auf Dreschtennen. Wenn er dann und wann für ein, zwei Tage nach Moskau kam, hörte er immer noch Deutsch auf den Straßen sprechen, aber er staunte nicht mehr darüber. Genosse Urluchow hatte dem Künstler längst erklärt, dass die einstigen Okkupanten jetzt das, was sie zerstört hatten, wieder aufbauten, und tatsächlich erhoben sich die Städte direkt vor seinen Augen aus den Ruinen.
    Marks Augen waren allerdings während der Kriegszeit schwach geworden, und er trug nun eine Brille mit sehr dicken Gläsern. Doch er zog sie nur auf, wenn er etwas lesen musste, in der übrigen Zeit versuchte er mit seiner verbliebenen Sehkraft auszukommen, die etwa für die Umrisse der vorübergehenden Menschen ausreichte.
    Tage, Wochen, Monate zogen auf dem Weg in die Vergangenheit vorüber. Manchmal, wenn feuchtes Wetter herrschte, machte sich seine im Krieg verwundete Lunge bemerkbar. Im schwarzen, fettig-gelockten Haar waren graue Strähnen aufgetaucht. Doch Mark verlor nicht den Mut, er verstand, dass es keinen Weg zurück in die Kindheit gab, und freute sich daran, dass es bis zum Alter noch etwa fünfzehn Jahre hin waren.
    Ein langsamer Vorortzug brachte Mark und Kusma in das fernere Moskauer Umland, nach Perwyje Kaganowitschi. Dort fand in diesen Tagen im Haus der Kultur der Allunionskongress der Kaninchenzüchter statt, und für heute war ein großer Abend der Meister der Künste angesetzt, unter denen auch Mark mit Kusma auftreten sollte. Urluchow hatte ihm angekündigt, das angesetzte Konzert sei sehr ernst zu nehmen, und ihm geraten, etwas mit dem Papagei aus der klassischen Lenin-Dichtung zu repetieren.
    Mark warf einen Blick auf Kusma, der in seinem Käfig saß. Dann sah er zu dem etwas trüben Fenster hinaus. Draußen ging ein Nieselregen nieder.
    In Perwye Kaganowitschi fand Mark das Haus der Kultur schnell, das richtiger ‚Kulturpalast‘ geheißen hätte, denn der Bau war der größte und modernste in dem ganzen grauen und unansehnlichen Städtchen. Der Bursche, der am Eingang Dienst tat, führte Mark in die Künstlergarderobe, in der er sich kämmen, in Ordnung bringen und ein wenig aus­ruhen konnte, während er wartete, bis die Reihe an ihm war.
    Außer Mark befand sich eine vollbusige, etwa vierzigjährige Sängerin in dem Raum, eine bekannte Interpretin russischer Volkslieder. Weiter war bisher noch niemand da.
    Mark stellte den Käfig mit Kusma auf einen Schminktisch, und setzte sich selbst in einen bequemen tiefen Sessel.
    Kusma betrachtete interessiert sein Abbild im Spiegel, wobei er sich so zur Seite drehte, dass mal sein

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