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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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russischen Panzer mit dem heimatlichen roten Stern auf der Kabinenpanzerung.
    „Wahrscheinlich hat er sich verirrt!“, vermutete der Urku-Jemze.
    Er ließ die Hunde direkt auf den Panzer zu laufen.
    Als der Schlitten neben der Kampfmaschine Halt gemacht hatte, wurde es ungewöhnlich still.
    Die Hunde legten sich in den Schnee, und nur einer von ihnen, ein weißer Laika, wandte seine Schnauze um und blickte mit in der Eisluft hängender roter Zunge gespannt die beiden Menschen an. Dmitrij half Dobrynin, aus den Rentierfellen herauszukriechen, dann packte er eines auf das andere, mit der Pelzseite nach unten, rollte sie zusammen und verschnürte sie mit dem Lederriemen.
    Auf der Stelle fühlte der Volkskontrolleur sich schutzlos dem nördlichen wilden Klima ausgesetzt. Sein rotbrauner Pelz – das Geschenk von Oberst Iwaschtschukin – wärmte natürlich, doch seine Füße, die in Filzstiefeln steckten, froren.
    Dmitrij Waplachow klopfte an die Kabine, das Eisen dröhnte einmal laut und verstummte. Niemand antwortete auf das Klopfen.
    „Steig hoch, schau mal durch die Luke!“, befahl Dobrynin seinem Gehilfen.
    Der Urku-Jemze kletterte auf die Kabine, zog die leicht angelehnte Luke zu sich her und spähte hinunter.
    „Schlecht!“, sagte er und verzog den Mund.
    „Was ist da?“, fragte der Volkskontrolleur, etwas Ungutes ahnend.
    „Sie sind erfroren“, antwortete Waplachow beklommen.
    Dobrynin kletterte gleichfalls auf die Panzerung, spähte in die Luke und spürte einen Kloß im Hals – im Innern des Panzers unten sah er drei Soldaten: Einer lag auf dem Rücken, die Beine linkisch angezogen; seine geöffneten Augen waren glanzlos wie Flusseis. Die beiden anderen saßen da zusammengekrümmt und hatten die Köpfe auf die Knie gesenkt. Von den drei reglosen Gestalten wehte Todeskälte herauf.
    Dobrynin erstarrte, während er weiter hinab sah. Neben ihm kauerte Waplachow auf den Fersen, und auch er schwieg.
    Die Stille um sie herum wurde dichter, wurde tiefer und tiefer, und erhärtete sich schließlich. Sie umstellte ihr Gehör wie mit einer weißen Wand. Dobrynin wurde unheimlich zumute.
    Fünf Männer in dieser endlosen weißen Wüste – drei Tote und zwei Lebende. Und ringsum Stille; da war ein einzelner starker, vielästiger Baum, doch auch er war wie tot, war für die Zeit der Kälte eingeschlafen; da waren die Hunde, aber was hatte man von ihnen? Wenn man sie jetzt freilassen würde, dann würden sie auseinanderlaufen und alle einzeln ums Leben kommen; falls sie nicht zurück zu der Alten gelangten, natürlich. Da war die Sonne, reglos und eisig. Die Anwesenheit von Leben in all dem Schnee erschien als etwas Fremdes und Zufälliges, eine Art vorübergehendes Missverständnis.
    Dobrynin spürte das. Ja, er dachte es nicht, sondern er fühlte es. Seine Gedanken waren gleichfalls erschrocken und erstarrt, und dieselbe unheilvolle Stille wie draußen hatte ihren Platz auch in seinem Kopf eingenommen. Eine Gänse­haut kroch ihm über den Rücken.
    „Wir müssen sie begraben …“, sagte er leise. „Auf würdige Art und Weise … Gibt es hier irgendwo ein Militärlager?“
    Der Urku-Jemze schüttelte den Kopf.
    „Wie denn dann?“, fragte Dobrynin, mehr sich selbst, als seinen Gehilfen.
    „Der Baum dort“, antwortete Waplachow gleichfalls leise und drehte sich um, um auf diesen einsamen Baum zu sehen.
    Auch der Volkskontrolleur schaute auf ihn.
    „Unter dem Baum?!“, fragte er verständnislos.
    „Nein“, erklärte Dmitrij. „Man muss sie auf würdige Art und Weise … wie wir das machen … in ein Rentierfell wickeln und an den Füßen an starke Äste hängen.“
    Dobrynin blickte den Urku-Jemzen seltsam und bitter an.
    „Ist das auf würdige Art und Weise?“, fragte er zweifelnd.
    „Wenn man sie auf der Erde liegen lässt, fressen Tiere oder der böse Geist Ojasi sie auf, aber so rührt sie niemand an“, erklärte Waplachow. „So haben wir das bei uns immer gemacht …“
    Dobrynin schwieg, während er nachdachte und das innerlich abwog. Am Ende stimmte er dem Urku-Jemzen zu, nachdem er zu dem Schluss gelangt war, dass es ihnen, wie man es auch drehte und wendete, nicht gelingen würde, sie anders zu begraben.
    Beide stiegen in die Kabine hinunter.
    Man musste die Toten irgendwie ins Freie ziehen, doch das stellte sich als nicht so einfach heraus. Zu zweit packten Dobrynin und Waplachow zu und hoben den Soldaten, der am Boden der Kabine lag, hoch – die tote Last seines Körpers zwang den

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