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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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war. Das Fleisch war kein gepökeltes Irgendwas, sondern richtiges Schweinefleisch!
    „Na, denn …“ Der schnauzbärtige Major erhob seine Tasse mit Schnaps. „Auf den Sieg!“
    Neben Mark saß die Sängerin Bujalowa. Sie roch am Schnaps und verzog das Gesicht.
    Mark wusste, wie es nun weiterging. Alle würden trinken, und auch sie zum Trinken zwingen – versuch mal einer, nicht auf den Sieg der sowjetischen Waffen zu trinken! Dann, nach der Grütze, würden sie die Bujalowa bitten zu singen, und danach würden alle Künstler der Reihe nach noch einmal auftreten müssen. Gegen Ende des Essens würde der Fahrer ihres Lastwagens wie üblich betrunken vom Stuhl fallen und die zu Hilfe gerufenen Soldaten würden ihn irgendwo hinlegen, wo er sich bis zum Morgen ausschlafen konnte …
    „Dein Papagei soll nochmal was ausspucken!“ Ein dicker Oberleutnant sah Mark an. „Los, nochmal irgendwelchen Scheiß!“
    Mark war immer gekränkt, wenn er solche Worte hörte.
    „Genosse Offizier“, sagte er und schaute bestürzt zur Bujalowa. „So dürfen Sie nicht reden …“
    „Wie alt ist denn dein Papagei?“, fragte jetzt der Oberleutnant.
    „Sechzehn Jahre vermutlich“, antwortete Mark Iwanow.
    „Dann ist er ja kein Säugling mehr und kann so Aus­drücke langsam verkraften, Scheiß drauf!“
    Geduldig blickte die Bujalowa in ihren leeren Teller, die Grütze hatte sie längst aufgegessen und einen Zuschlag hätte sie nicht abgelehnt, aber man hatte vergessen, ihr noch etwas anzubieten.
    „Bring ihm mal was Ordentliches bei, das sag ich dir als Stabsoffizier!“ Mit trübem Blick sah der Oberleutnant von Mark zum Papagei, der noch immer auf dessen Schulter saß, und wieder zurück zu Mark. „Soldaten fluchen gern … das verstehst du doch, jeden Tag den Tod vor Augen … wie soll man da nicht fluchen, Scheiß drauf …“
    Sie schliefen, ohne sich auszuziehen, in einem einstigen Klassenzimmer, jedoch auf Betten mit Matratzen. Sie deckten sich schichtweise mit Decken und Soldatenmänteln zu, die sie bei der Bekleidungskammer geliehen hatten.
    Am Morgen saß Fahrer Wanja müde und noch bläulich vom Schnaps, wieder hinterm Steuer.
    Und wieder die Straße, jetzt ging es in Richtung Front.
    Stille, Schützengräben, verdreckte Gesichter, schmutzige Hemden, als würden die Soldaten im Schlamm des Schützen­grabens schlafen. Sie waren herausgekommen, hervorge­krabbelt, hatten sich auf einer Lichtung versammelt. Ihr Kommandant war ein Leutnant. Eingefallene Wangen, unrasiert. Die Unterlippe stand vor, als hätte er sich mit jemandem geschlagen.
    Wieder eine Vorstellung. Die Bujalowa sang ohne Vorwarnung „Mein Feuer glänzt im Nebel“. Erst danach sang sie wieder von den Birken, dem heimatlichen Dorf.
    Da saßen die Soldaten, junge und alte. Sie saßen da traurig und versonnen.
    Darauf die ukrainischen Coupletsänger. Alles wie ge­­wöhnlich. Gelächter, sie kamen hergeeilt und umarmten die beiden; wenn sie nicht rechtzeitig auswichen, schleuderten sie sie herum!
    Und am Ende Kusma:

    „Aber sag mal, eine Sache,
    habt ihr die?
    – Na, was?
    – Die Laus.
    Tjorkin lächelt und isst weiter,
    bröckelt Brot ein, sagt: Durchaus.“

    „Genosse Künstler! Genosse Künstler!“ Ein Soldat war direkt aufgesprungen, dunkelhaarig, um die vierzig Jahre alt. „Sie waren doch schon mal bei uns! Sie sind bei uns aufgetreten!“
    Die übrigen Soldaten lachten und klatschten.
    Mark sah den Mann an, der aufgesprungen war.
    „Wo?“, fragte er und nahm an, dass man diesen Soldaten von einem Frontabschnitt, an dem sie schon gewesen waren, hier her versetzt hatte.
    „In Tambow! In der Schuhfabrik ‚Gigant‘!“, rief der Sol-dat.
    Mark erstarrte einen Augenblick lang. Tambow? Ja, dort waren sie vor drei Jahren gewesen! Er trug ja noch heute die Schuhe, die ihm der Parteisekretär und die Werktätigen dieser Fabrik nach seinem Auftritt geschenkt hatten. Sollte er das dem Soldaten erzählen? Dann würde er sich freuen, dass Mark sich an ihre Fabrik erinnerte!
    „Ja, ja, natürlich“, nickte Mark. „Ich erinnere mich an die Tambower ‚Gigant‘!“
    Das Mittagessen kam aus der Feldküche – wieder Grütze, aber diesmal fast ohne Butter. Dafür Tee mit Zucker. Schnaps gab es zum Mittagessen keinen, und weiter fuhr Fahrer Wanja den Lastwagen ruhig und gleichmäßig, obwohl es ihn in den Schlaglöchern hochwarf, und mit ihm auch die Künstler, die im Innern saßen, und den Käfig mit dem Papagei, den Mark manchmal in den Armen

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