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Der unbeugsame Papagei

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Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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trat zu dem, der am nächsten hing, beugte sich vor und las auf dem Schildchen: „Geschenk der Fabrik ‚Rote Näherin‘, Stadt Lemberg“.
    Da dachte der Schuldirektor wieder an die Tränen des Kremlträumers.
    Klara kam zu Banow, umarmte ihn und schmiegte sich an ihn.
    „Ich verstehe trotzdem nicht“, flüsterte Banow. „Warum sind sie so groß? Er ist doch klein!“
    Klara dachte ebenfalls darüber nach, doch auch sie fand keine Antwort.
    „Ich habe ja gesehen, wie er sie ausgepackt hat, er wollte sie anprobieren und hat geweint …“
    Klara hätte Banow sehr gern beruhigt. Sie sah, dass er aufrichtig mit dem Kremlträumer litt.
    „Weißt du was“, flüsterte sie nach einer Minute. „Kaufen wir ihm doch einen normalen, kleinen Anzug und schicken ihm den!“
    Banow wandte sich um und betrachtete Klara mit Liebe und Begeisterung. Solch eine einfache und gleichzeitig un­gewöhnliche Idee! Warum war er nicht selbst darauf gekommen? Offenbar konnte nur eine Frau mit ihrer Fürsorglichkeit sich ausdenken, wie man die Leiden eines anderen Menschen linderte.
    Banow beugte sich zu ihr und küsste Klara auf den Mund.
    Im nächsten Augenblick zupfte ihn jemand von hinten an der Schulter.
    Er drehte sich um.
    Vor ihm stand eine kleine alte Frau, vielleicht einen Meter fünfzig groß, in einem alten hellblauen Jäckchen und einem groben grünen Rock.
    „Sie sind im Museum, Bürger!“, sagte sie streng. „Vergessen Sie das nicht!“
    Nach dem Museum gingen sie ins Staatliche Universalkaufhaus, ins GUM . Die Abteilung für Männerkleidung fanden sie sofort.
    „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“, fragte ein junger Verkäufer, der plötzlich vor ihnen aufgetaucht war.
    „Ja“, sagte Klara. „Wir brauchen einen Anzug in einer eher kleinen Größe …“
    „Für Sie?“, fragte der Verkäufer Banow.
    „Nein …“, entgegnete dieser verlegen. „Für unseren Genossen … Wir möchten ihm ein Geschenk machen …“
    Der Verkäufer nickte verstehend und hörte zu.
    „Er ist ungefähr so groß.“ Banow hob die flache Hand und maß gleichzeitig mit den Augen den Abstand zum Boden. „Sogar ein bisschen weniger …“
    „Die erste Größe!“, sagte der Verkäufer bestimmt, nachdem er mit erfahrenem Blick diesen Abstand ebenfalls ausgemessen hatte. „Und welche Breite? Ist er eher dünn?“
    „Ja, also, irgendwie so.“ Banow zeigte unsicher mit beiden Händen.
    „Sechsundvierzig“, sagte der Verkäufer. „Welche Farbe?“
    Banow blickte fragend auf Klara.
    „Etwas Gemütliches“, meinte sie. „Eine eher nicht so offizielle Farbe … Vielleicht dunkelgrün oder ein sanftes Dunkelblau.“
    „Ja, und auf jeden Fall mit einer Weste“, ergänzte Banow. „Haben Sie Westen, mit vielen Taschen?“
    „Natürlich!“, erklärte der Verkäufer stolz. „Bitte, folgen Sie mir.“
    Der Verkäufer führte sie in eine andere Abteilung, in der in mehreren Reihen hunderte von unterschiedlichen An­zügen hingen.
    ‚Ich müsste mir auch einen Anzug kaufen‘, dachte Banow, verstand jedoch sofort, dass er für zwei Anzüge nicht genug Geld besaß.
    „Sechsunvierzig, erste Größe …“, deklamierte der Verkäufer, der an einem langen Abschnitt mit Anzügen der be­nötigten Größe Halt gemacht hatte.
    Klara befühlte den Stoff eines Anzugs.
    „Reine Wolle!“, sagte der Verkäufer zu ihr.
    Dann streifte sein ernster Blick die aufgehängten Anzüge entlang. Er zog einen heraus, darauf einen zweiten, hierauf einen dritten und legte sie auf einen Tisch, der daneben stand.
    „So“, sagte er zufrieden. „Bitteschön! Ein zartes Grün, knitterfrei … dieser hier, der Dunkelblaue, ist nicht knitterfrei … und das hier ist jetzt die modischste Farbe – beige.“
    Klara trat näher hin.
    Banow gefielen alle drei Anzüge, aber welcher von ihnen besser war, wusste er nicht.
    „Vielleicht den beigen?“, fragte Klara.
    Banow zuckte die Schultern. Dann überlegte er, dass Klara wohl wirklich am besten wusste, welcher Anzug der passendere war. Sie war schließlich eine Frau.
    „Ja“, sagte Banow. „Nehmen wir den beigen!“
    Mit einem sorgfältig verschnürten Paket traten sie auf die Straße hinaus und blieben stehen.
    „Werden sie das auf der Post annehmen?“, fragte Klara.
    „Das sollten sie wohl“, meinte Banow unsicher. „Immerhin hab ich dort unten doch Pakete und Briefe gesehen …“
    „Komm, wir gehen zum Hauptpostamt, dort nehmen sie es auf jeden Fall an!“, schlug Klara vor.
    Auf dem Hauptpostamt

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