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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Telefon.
    „Hallo! Genosse Banow!“, erklang Klaras Stimme im Hörer. „Sie haben darum gebeten, dass ich Sie heute anrufe …“
    „Was ist denn heute für ein Tag?“, fragte Banow zerstreut.
    „Donnerstag“, erklärte Klara, und in ihrer Stimme klang Verwunderung.
    „Ah ja! Das habe ich vergessen! Entschuldigung, ich habe so viel Arbeit“, sagte er. „Ja, ich wollte doch, dass wir heute ins Museum gehen …“
    „Und wann heute?“
    „Das Museum ist bis sechs geöffnet“, sagte Banow. „Treffen wir uns um drei …“
    „Soll ich zur Schule kommen?“
    „Nein, nicht nötig. Lieber gleich irgendwo im Zentrum … vielleicht auf dem Roten Platz?“
    „Und wo genau?“, bohrte Klara weiter, und Banow verstand, dass sie Recht hatte, denn der Rote Platz war ja riesen­groß.
    „Bei der Richtstätte, einverstanden?“, schlug der Schuldirektor vor.
    „Einverstanden. Um drei Uhr an der Richtstätte.“
    Als Banow den Hörer aufgelegt hatte, rief er noch einmal Vizedirektor Kuschnerenko zu sich.
    „Wann ist bei uns der Besuch des Mausoleums vorgesehen?“
    „Ende April“, antwortete der Vizedirektor.
    „Streiche das!“, sagte der Schuldirektor streng.
    Kuschnerenko schielte argwöhnisch auf Banow.
    „Streich es!“, wiederholte Banow. „Und trag für diesen Tag einen Ausflug zur Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft ein. Verstanden?“

    Um zehn vor drei stand Banow schon an der Richtstätte.
    Vereinzelte Ausflügler und Besucher der Hauptstadt wanderten über den Roten Platz, dahinter floss der endlose Menschenstrom, der ins Mausoleum mündete. In Banows Nähe war niemand, keiner der Besucher der Hauptstadt interessierte sich für die Richtstätte.
    Ein Milizionärsposten kam auf Banow zugelaufen.
    „Was machen Sie?“, fragte er irgendwie eigenartig, aber höflich.
    „Ich warte auf eine Genossin“, antwortete Banow.
    „Und was machen Sie dann?“
    „Wir gehen ins Museum“, sagte der Schuldirektor.
    „Ich habe morgen frei“, bemerkte der Milizionär geistesabwesend. „Ich werde wohl auch ins Museum gehen. Im Museum war ich nämlich noch nie.“
    Banow sah den Milizionär etwas erstaunt an.
    „Hier wurden Köpfe abgeschlagen!“, sagte der Milizionär mit einem Seufzer und wies mit der Hand auf die Richtstätte. „Wir dagegen leben in einer glücklichen Zeit“, fügte er noch hinzu, drehte sich um und ging zurück auf seinen Posten.
    Klara kam pünktlich.
    Im Museum waren viele Bauern. Sie studierten aus nächster Nähe die Fotografien und Dokumente, persönliche Dinge des Führers und andere Gegenstände, die zur Betrachtung ausgestellt waren. Im ersten Saal stand in einer Ecke hinter einer Absperrung ein Schaukelstuhl.
    Klara wusste bereits, dass Banow unter dem Kreml gewesen war. Der Schuldirektor hatte trotz allem beschlossen, ihr zu erzählen, was er gesehen hatte, nachdem er ihr zuerst ihr Parteiehrenwort abgenommen hatte, dass sie zu niemandem ein Wort sagen würde.
    Im Museum betrachteten sie die Fotografien, während sie von einem Saal in den anderen gingen. Banows letzte Zweifel zerstreuten sich, als er sich die Bilder des Kremlträumers besah. Er war es wirklich!
    Banows Erregung teilte sich Klara mit, manchmal blieb sie vor einem Foto stehen, blickte zu Boden und dachte an etwas Anderes, und in solchen Augenblicken trat Banow von hinten zu ihr und nahm sie behutsam beim Arm, damit sie sich aus den aufgewühlten Gedanken löste.
    Sie sahen sich die Säle im Erdgeschoss an, danach die im ersten Stock und gingen dann in den zweiten hinauf.
    Hier, im zweiten Stock, waren die Geschenke ausgestellt, die Iljitsch von den verschiedenen Völkern bekommen hatte. Natürlich zeigte man den Besuchern bei weitem nicht alle Geschenke, darüber hatte die alte Frau, die im ersten Saal saß, Banow und Klara sofort Bescheid gesagt.
    Banows Interesse erlosch langsam. Ziemlich rasch durchschritten sie einen Saal, der mit Tellern und Vasen vollgestellt war, den Porzellansaal, gingen durch einen Saal mit Teppichen, darauf lokale Motive und der Führer selbst, und schließlich gingen sie durch einen Saal mit Geschenken der Völker des Nordens: Hier gab es einen aus Walrossbein geschnitzten Miniaturkreml und viele andere derartige Arbeiten. Zuletzt öffnete sich vor ihnen der Saal mit Geschenken der Weber. Hier blieb Banow stehen.
    An den Wänden hingen schöne Anzüge aus bestem Stoff unter Glas, und unter jedem von ihnen sah man ein Schildchen. Alle Anzüge waren riesengroß.
    Banow

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