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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Dobrynin an den Genossen Twerin durch.“
    Der Funker tat es. Dann zog er langsam die Kopfhörer ab, sank nach vorn und legte sich direkt auf die Funkstation, entweder aus Erschöpfung oder weil er betrunken war.
    „Na, und?“, fragte der Kontrolleur. „Was haben sie gesagt?“
    Der Funker regte sich, setzte sich mühsam aufrecht hin und wandte sich mit einem betrunken-glücklichen Grinsen zu ihnen um.
    „Sie bauen die Eisenbahn!“, sagte er und seufzte. „Bis jetzt haben sie sie noch nicht gebaut, aber nun werden sie es machen!“
    „Warum?“, fragte Kalatschew, der bis dahin geschwiegen hatte, erstaunt.
    „Die Heimat braucht Fleisch, kein Gold! Auf Gold, sagen sie, scheißen sie, auf Fleisch aber nicht!“
    In dem Schweigen, das hierauf eintrat, bekräftigte nur das Schnaufen des schlafenden Waplachow, dass es in dem Wagenhäuschen Leben gab.
    Dobrynins Stimmung war merklich verdorben, denn er konnte nicht verstehen, wozu die Heimat altes Fleisch brauchte. Er legte seinen Revolver auf den Tisch, setzte sich selbst hin und stützte die Ellenbogen auf.
    Auch Kalatschew setzte sich an die Tischkiste. Man sah, dass auch er längst nicht alles begriffen hatte. Goroschko, der ein paar Minuten über seiner Funkstation gelegen und ge­döst hatte, rückte gleichfalls mit seiner Stuhlkiste zu seinem Chef.
    So hatte sich die ganze Runde aufs Neue um den Tisch eingefunden, und nur Waplachow, der da lag, fehlte aus triftigem und leicht erklärlichem Grund.
    Dujew schnarchte plötzlich einmal laut, und als Goroschko ihm auf die Schulter klopfte, hob er den Kopf vom Tisch und sah alle mit trübem Blick an. Er wusste ja nicht, was im Wagen vor sich gegangen war, während er im Sitzen geschlafen hatte.
    „Chef!“, blökte er. „Vielleicht noch mal eine halbe Tasse für alle?“
    Kalatschew nickte. „Stepan, gib ihm noch was … und auch den anderen!“
    So goss Stepan noch Fleischbranntwein in die Tassen. Sie tranken. Doch eine finstere Stimmung beherrschte sie alle. Still war es um die Tischkiste. Still und bedrückt. Dobrynin nahm es sehr schwer, dass er zum ersten Mal in seinem Leben mit der Waffe anständige Menschen bedroht hatte, die, so konnte man sagen, heldenhaft im hohen Norden lebten. Er nahm es schwer, obgleich er wusste, dass das Recht auf seiner Seite war, und dass es zu seinen Pflichten als Volkskontrolleur gehörte, die Heimat und mit ihr auch Moskau vor Betrug zu schützen. Was wäre er für ein Kontrolleur, wenn er nicht so aufgetreten wäre, wie er es getan hatte?! Und doch war ihm unbehaglich, denn wie konnte er, nach allem, was vorgefallen war, nun mit diesen Menschen einfach so zusammen sitzen.
    Dujew war, nachdem er ausgetrunken hatte, wieder eingeschlafen.
    Kalatschew starrte in seine Tasse und dachte ernst über etwas nach. Nur auf dem Gesicht von Funker Goroschko lag weder Kummer noch Sorge. Sein Gesicht war gerötet und aufrichtig froh, was man von Chramow nicht sagen konnte.
    „Aber trotzdem bauen sie doch jetzt die Eisenbahn!“, brach-te Stepan mühsam heraus. „Jetzt bauen sie sie wirklich …“
    Nachdenklich blickte Kalatschew zu Chramow und nickte, mehr zu sich selbst, wie um seine eigenen Gedanken zu bekräftigen. Dann sah er den Volkskontrolleur an, und Dobrynin hörte seinen Seufzer. Wieder wurde es Dobrynin schwer ums Herz.
    „Du hattest recht!“, sagte Kalatschew, wobei er dem Volkskontrolleur direkt in die Augen sah. „Ohne deine Prinzipientreue hätte uns der Tod erwartet … Ich habe ja ebenfalls einen Revolver … Und ich hätte ihn beinahe heraus­-gezogen.“
    Nach diesen Worten legte sich seine Stirn in tiefe Falten. Er wurde finster und heftete den Blick wieder auf seine Tasse. Nun fiel ein Gespräch schon gar nicht mehr leicht.
    Waplachow bewegte sich auf seiner Liege im Schlaf. Von diesem Hin-und Herrutschen fielen zwei oder drei Rentierfelle zu Boden.
    Stepan Chramow stand auf und deckte den Urku-Jemzen fürsorglich wieder zu.
    Dank seinem Schlaf befand Waplachow sich nun in der erfreulichsten Lage. Von dem Vorgefallenen wusste er gar nichts, deshalb blickten alle mit Wärme zu ihm hinüber.
    „Genosse Twerin hat mir schon zwei Bücher geschenkt“, begann Dobrynin nach einer weiteren Pause. „Sie sind irgendwie für Kinder, aber nicht ganz. Das hat er auch zu mir gesagt: dass man aus ihnen Vieles lernen kann …“
    „Wie heißen sie denn?“, fragte Kalatschew, der froh war, über etwas zu reden, wenn es nur nicht über die Geschichte mit dem Betrug an Moskau

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