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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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wie ihre Saaten aufgehen. Ich habe vor ein paar Tagen einen Brief von einem Piloten bekommen …“
    Banow schlief. Er träumte vom Winter, Kinder auf Schlitten fuhren einen Hügel hinunter. Aus den Schornsteinen der niedrigen Holzhäuschen stieg Rauch in die frostige Luft. Rotarmisten hatten ihre Gewehre zu einer Pyramide aufgestellt und bauten mitten auf der Dorfstraße eine Schneeburg. Auf einer anderen Straße trugen zwei bärtige Männer in Lederjacken einen Tannenbaum, hinter ihnen gingen noch zwei Rotarmisten mit Waffen in den Händen.
    „… Die Kinder werden ebenfalls in Flugzeugen fliegen. Das bringt man ihnen von sechs Jahren an bei, und in drei Jahren wird jedes sowjetische Kind sein eigenes Fahrrad erhalten haben, völlig umsonst. Bezahlt von den Schulgewerkschaften …“
    Im Traum schlich Banow hinter den Männern her, die die Tanne trugen.
    „Hier!“ Einer von ihnen wies mit der Hand auf eine alte, baufällige Bauernkate mit einem Strohdach, das von einer dicken Schicht Schnee bedeckt war.
    Sie betraten den Vorgarten und klopften an die niedrige Tür.
    Eine alte Frau öffnete, ihr Kopf war mit drei oder vier alten Kopftüchern umhüllt.
    „Wohnt hier Pelageja Jerschowa?“, fragte einer der Männer in Lederjacken streng.
    „Das bin ich, mein Sohn“, antwortete die Alte.
    „Alles Gute zum Neuen Jahr!“, sagte der Mann. „Als Witwe und Mutter an den Fronten des Bürgerkriegs ge­-fallener Söhne haben Sie Anrecht auf einen kostenlosen Tannen­baum!“
    „Ach, danke, Kinder, kommt rein, kommt rein!“
    Die beiden mit der Tanne nahmen ihre Ohrenklappenmützen ab und gingen mit der Tanne hinein. Die Rotarmisten blieben vor dem Haus.
    Banow verbarg sich beim Nachbarhaus und schaute.
    Die Rotarmisten rauchten Selbstgedrehte.
    „Es ist schon ganz schön kalt!“, sagte der eine, wobei er von einem Bein auf das andere trat.
    „Schau! Schau!“ Der andere wies plötzlich zum Himmel. „Da fliegt etwas! Hinlegen!“
    Ein lauter werdendes Pfeifen erschreckte Banow, und er warf sich ebenfalls in den Schnee.
    Ein Donnern, Krachen, menschliche Schreie ertönten.
    „ … und daher werden die sowjetischen Menschen unsterblich sein, und das wird viele ausländische Verbündete anziehen“, träumte der Herr der Laubhütte weiter. „Dieses Mittel werden natürlich nicht alle erhalten, nur jene, die selbstlos für das Wohl der Heimat gearbeitet haben, wenn sie das Pensionsalter erreichen, das bis dahin auf vierundvierzig Jahre bei den Männern und fünfunddreißig Jahre bei den Frauen herabgesetzt sein wird. Auf diese Weise erlangen die sowjetischen Menschen, wenn sie in Pension gehen, Unsterblichkeit und können sich um ihre Obst- und Gemüsegärten kümmern. Haben Sie einen Gemüsegarten?“
    „Nein“, antwortete Klara.
    „Das macht nichts“, beruhigte sie der Kremlträumer. „Sie werden einen haben!“
    … Als das Donnern verklungen war, trat drückende Stille ein, doch hier sprang die Tür auf und die beiden in den Lederjacken rannten heraus und blickten sich erschreckt um, einer umklammerte sogar einen Revolver in der Hand.
    Banow hob den Kopf und sah dorthin, wo eben noch der Donner geklungen hatte. Hundert Meter entfernt erblickte er die Überreste eines ordentlichen Blockhauses, das buchstäblich noch vor wenigen Minuten dort gestanden hatte. Auch die beiden Rotarmisten eilten zu den Trümmern und begannen mit den beiden in den Lederjacken, den Schutthaufen zu untersuchen.
    „Los! Los!“, kommandierte einer von ihnen. „Da, hier, ein Bein! Ja! Zieh am Schenkel! So! Und los!“
    Und alle vier packten jemanden an den Armen, trugen ihn zur Seite und legten den Körper auf den Schnee.
    „Wir müssen weiter suchen!“, kommandierte der eine in der Lederjacke.
    Sie fanden noch jemanden. Banow konnte nicht sehen, ob die, die man unter den Trümmern herauszog, am Leben waren oder nicht.
    „Was war das denn?“, fragte der eine in der Lederjacke.
    „So ein Ding …“, begann der eine Rotarmist zu erklären. „Schwarz, wie ein Stein …“
    „Ja, anscheinend ein Stein!“, bekräftigte der zweite Rotarmist.
    „Der Kolchosvorsitzende ist erschlagen worden!“, rief eine Frau, und zu den Trümmern strebten Nachbarn und Kinder herbei und drängten sich um die beiden Körper im Schnee.
    Banow wurde mutig, rappelte sich ebenfalls auf und ging hin.
    Der Vorsitzende und seine Frau waren tot.
    „Gut, dass die Kinder draußen gespielt haben!, sagte eine Frau. „Ach je, jetzt sind sie Waisen …“,

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