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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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vieles andere erfuhr Dobrynin aus diesem bunten Strauß von Gesprächen, die ab und an von schnellen Trinksprüchen, wie zum Luftholen, unterbrochen wurden. Alles interessierte den Volkskontrolleur: auch die Nachrichten aus dem Feld, und dass der Krieg weiterging und die Rote Armee an allen Fronten vorsätzlich zurückwich und damit die Feinde in tödliche Fallen lockte, wie sie es schon damals mit der Armee Napoleons gemacht hatten, und dass nun das Blut besonders nützlich war, das man kürzlich während der Kampagne im ganzen Sowjetland bei der Bevölkerung gesammelt hatte.
    Als die Aufmerksamkeit des Volkskontrolleurs nachließ, mehr, weil seine Ohren erschöpft waren, nicht, weil er das Interesse verloren hätte, bemerkte er, dass in der Ecke des Waggons einige Festteilnehmer an der Wand in einer Reihe auf den Hockern saßen und schlummerten, unter ihnen auch Dmitrij Waplachow. Eben dort bemerkte Dobrynin überdies noch einen freien Hocker. Leise verließ der Volkskontrolleur den Tisch und ließ sich auf dem Hocker nieder. Er lehnte den Rücken an die Wand, im Rentierfellmantel war es warm und gemütlich – obgleich die Luft im Waggon ebenfalls warm war. Denn auch hier stand jene Erfindung der sowjetischen Chemiker: der Ofen, der weder Feuerholz noch Kohle brauchte. Ein wahrhaftiges Glücksgefühl kroch ihm ins Herz. Und der Volkskontrolleur schlief ein.
    In seinem Traum fielen irgendwelche schwarzen Steine auf weißen Schnee. Sie fielen, verbrannten den Schnee mit einem Zischen und verschwanden irgendwo in der Erde. Lange hielt dieser Steinregen an, und die Menschen in seiner Nähe gewöhnten sich an ihn. Sie gewöhnten sich auch daran, dass diese schwarzen Steine hin und wieder auf Häuser fielen und einen von ihnen erschlugen.

    Nachdem alle wieder aufgewacht waren, hielten sie im Waggon des Zugleiters wieder eine allgemeine festliche Ver­sammlung ab, auf der im Grunde dieselben Trinksprüche wie am Vorabend erklangen, nur dass diesmal niemand trank. Unter den Ovationen der Arbeiter überreichte Genosse Bruse dem Genossen Kalatschew einen Brief aus Moskau. Dann sprach Professor Sikalski, während er hin und wieder seine Brille zurechtschob, die ihm von der dünnen Nase rutschte. Er sprach über die Bedeutung der ihnen gestellten Aufgabe, über Sorgfalt und über besondere Verantwortung, Hingabe und großes Vertrauen. Aus seiner von unlebendigen Worten durchsetzten Rede verstand Dobrynin, dass sowohl die Geologen als auch die Arbeiter ‚bis auf besondere Verfügung des Kreml‘ hier bleiben würden. Sie sollten ‚alle Kräfte einsetzen zur maximalen Zutageförderung von Fleisch aus gefrorenem Grund‘ und sollten es für das Verladen auf einen bereits unterwegs befindlichen Güterzug vorbereiten, der dieses Fleisch in die Hauptstadt, an die Front und in andere Städte bringen sollte. Es würden, erklärte Sikalski, solche Güterzüge bereits zusammengestellt und regelmäßig eintreffen, um Fleisch zu holen, wobei den Arbeitern jedoch ‚genügend Zeit verbleiben‘ werde, um das Fleisch für ‚den jeweiligen Folgezug‘ vorzubereiten, da man die Strecke eingleisig verlegt hatte. Und bis ein beladener Zug zum Knotenpunktbahnhof zurückgekehrt und ein neuer eingetroffen sei, würden mindestens acht Tage vergehen.
    Der ungeöffnete Brief aus dem Kreml zitterte in Kalatschews Händen, der Sikalski sehr aufmerksam lauschte. Während er aus den Worten des Professors zusehends mehr über seine Zukunft erfuhr, erbleichte er, seine Lippen verzogen sich, sein Blick war erloschen und zutiefst unglücklich. Dasselbe konnte man auch von den drei übrigen Geologen sagen. Funker Goroschko, der auf dem Hocker saß, auf dem er am Vorabend eingeschlummert war, rieb sich die Tränen fort, die ihm über die runden rosigen Wangen liefen.
    Nach der Versammlung begaben sich die Geologen in ihren eigenen Wagen, umgehend folgten ihnen auch Dobrynin und sein Gehilfe.
    Sie setzten sich um ihre Tischkiste. Erst hier, in seinem eigenen Wagen, öffnete Kalatschew den Brief, nachdem er das Siegel abgerissen und vor sich auf den Boden geworfen hatte. Er las schweigend.
    „Und, was?“, flüsterte Dujew.
    „Dasselbe, was auch der Professor gesagt hat …“, brummte Kalatschew vor sich hin. „Sogar mehr …“
    „Von uns steht dort nichts drin?“, fragte Dobrynin.
    Der Leiter der Expedition schüttelte den Kopf.
    „Lies vor!“, bat Goroschko, der offenbar immer noch auf etwas Gutes hoffte. „Vielleicht haben sie dort etwas

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