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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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nichts verlangte und sich sogar jetzt genierte, seine Freude über die Auszeichnung kundzutun. Und Dobrynin drehte sich zu dem Urku-Jemzen um und drückte ihm die Hand. „Ich gratuliere!“, sagte er. Man sah, dass Waplachow von der Mitteilung und auch dem feinfühligen Verhalten seines Chefs und seiner Geologen-Freunde sehr berührt war. Auf seinem bleichen Gesicht erschien ein etwas erschöpftes, schwaches Lächeln. Er war noch immer krank, doch selbst über seine Krankheit beklagte er sich nicht.
    Bald fand die langersehnte Begrüßung des Zuges statt. Gleichsam aus dem Nirgendwo kam er hervorgekrochen und legte die letzten Schienen auf den Frostboden direkt bis wenige Meter vor den Wagen der Geologen.
    Der Schienenverlegezug setzte sich aus einem Kran­wagen, der Lokomotive als solcher, zwei geschlossenen, beheiz-baren Waggons und einigen offenen, niedrigen Güterwagen zusammen, auf denen die zum Verlegen bereiten Schienen lagen. Der Führer des Zuges, Genosse Taufenbach, war ein Deutscher.
    Sobald die letzte Distanz mit Schienen überbrückt war, befahl er allen, sich im ersten Waggon zu versammeln, in dem die Leitung des Zuges lebte und arbeitete und in dem auch eine Funkstation stand. Dort wurde ein großer Schreibtisch gedeckt. Auf ihm erschienen außerordentlich schnell, man konnte sagen: vor den Augen der staunenden verdienten Geologen, eingesalzener Fisch, Tassen, Trinkspiritus und dergleichen. Die einzige Unannehmlichkeit war, dass man an diesem Tisch stehen musste. Hocker waren nicht genug vorhanden, und um die vollkommene Gleichheit zu wahren, hatte man sie einfach in einer Ecke des Waggons gestapelt.
    Taufenbach, der ein kleingewachsener und, ungeachtet der ledernen Fliegerjacke, die ihn erstaunlich rund erscheinen ließ, vermutlich magerer Mann war, berührte mit den Fingern der rechten Hand sein rotes Schnurrbärtchen und überließ Genosse Kalatschew das Recht auf den ersten Trinkspruch.
    „Also … auf Ihre Ankunft!“, erklärte der Leiter der Expedition kurz und knapp.
    Es klirrten die Blechtassen aneinander. Es lächelten die strengen, schönen Gesichter der Männer, die in ihrer Mehrheit bärtig waren, mit Ausnahme des glattrasierten Taufen­bach und seines Stellvertreters aus der Politabteilung, Genosse Bruse.
    Nach einem Schluck Spiritus fühlte Dobrynin, wie Munterkeit und Hoffnung sich in ihm ausbreiteten. Auf den Schluck hin nahm er sich ein Stück gesalzenen Fisch, schob es gierig in den Mund und begann es zu zerkauen, samt Gräten, die sich ihm ins Zahnfleisch bohrten und zwischen den Zähnen steckenblieben. Doch als der Volkskontrolleur die unangenehmen Stiche spürte, arbeitete er nur noch stärker mit den Kiefern und betrachtete voller Liebe und gut­mütiger Neugier die Gesichter der ihm bisher noch unbekannten Menschen, die hier um den Tisch standen. Ein eigenartiger Hunger nach neuen Gesichtern war in der Zeit seines langen Zusammenlebens mit den Geologen in ihm aufgekommen, doch war Dobrynin sich darüber erst jetzt, nach der Ankunft des Zuges, klargeworden. Der Zug bedeutete die Fortsetzung seines Lebens und damit auch die Fortsetzung seines Dienstes an der großen Heimat, in dem ja der ganze Sinn seines Volkskontrolleurslebens bestand.
    Mit dem Zug waren etwa zwölf Arbeiter eingetroffen. Außer Taufenbach und seinem Stellvertreter stand noch ein weiterer eindeutiger Nicht-Arbeiter hier mit am Tisch: Er trug eine Brille, einen leicht herausgewachsenen Bürstenschnitt, hatte schmalen Lippen und eine schmale Nase. Der Mann hieß Professor Sikalski, wie Dobrynin kurz darauf erfuhr, stammte aus Moskau und war mit dem Zug zu ihnen geschickt worden, damit er die Fäulniswiderstandsfähigkeit des ausgegrabenen Fleisches prüfte. Dies heraus­zufinden war von großer Bedeutung, um den richtigen Transport und die Marschroute zu organisieren.
    Es war wohl kaum eine halbe Stunde vergangen, da wusste Dobrynin bereits aus der lauten Vielstimmigkeit am Tisch, dass einen fernen Vorfahren des Genossen Taufenbach jemand aus dem Gefolge Peters des Großen einst aus Deutschland nach Russland gebracht hatte, dass Sikalski wenige Tage zuvor in diesem Zug fünfundvierzig Jahre alt geworden war, dass die Arbeiter vor beinahe einem Monat, beim Verlegen der Schienen auf sibirischer Erde, einen eigenartigen Kinderfriedhof entdeckt hatten, auf dem kleine Jungen in Uniform mit den Buchstaben ‚Su‘ auf den Ärmelstreifen begraben lagen. Genauer, sie waren nur mit Schnee zugeschüttet gewesen. Auch noch

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