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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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würde, die seinem Herzen lieb waren: Twerin, Woltschanow und natürlich Marija Ignatjewna, auch den Hausmeister Wasilij, und den Sohn Grigorij, auch wenn dieser Sohn nicht seiner war.
    Die Gedanken wurden mehr und mehr sichtbar, wie ein richtiger Film, und der Volkskontrolleur bemerkte gar nicht, wie er einschlief, merkte nicht, wie er seine Arme direkt in den auf dem Tisch verschütteten Wein legte und den Kopf auf die Arme senkte. Und aus dem Schlafzimmer hörte Dobrynin, der an dem Schreibtisch im Arbeitszimmer seiner Dienst­wohnung döste, das unangenehme, heftige Weinen eines Säuglings.

Kapitel 18
    Die Zeit kroch langsam dahin wie der verbeulte Gasik-Jeep auf den schlaglochübersäten Straßen des Hinterlandes.
    Es wurde Abend. Es war durchdringend feucht.
    Mark Iwanow, der sich in seinen Soldatenmantel gehüllt hatte, drückte den Käfig mit Kusma und dem Überzug an sich und hüpfte gemeinsam mit ihm auf dem sprungfedergespickten Rücksitz des Wagens auf und ab. Neben ihm hüpfte in den Schlaglöchern Genosse Parlachow in die Höhe, sein „Hüter“ vom ZK . Genosse Urluchow hatte ihn dem Künstler zur Seite gestellt. Zum Schutz und als Hilfe, hatte er gesagt, doch nun, nach den ersten fünf Auftritten auf dieser endlosen Tournee durch das Hinterland, wusste Iwanow genau, wozu dieser wortkarge und finstere Mensch sich ständig an seiner Seite befand.
    Vor ihrem ersten Auftritt hatte sein Hüter dem Künstler angekündigt, dass Mark fortan an vor der Einfahrt in jedes der Verteidigung dienende Werk oder Objekt mit seiner Hilfe eine Augenbinde anlegen müsse, damit er nicht zufällig etwas sah, was ihm als Außenstehendem nicht zu sehen bestimmt war. Von da an war es losgegangen: noch ehe ein Fabrikzaun in Sicht kam, zog Hüter Parlachow einen schwarzen Stoffstreifen über Iwanows Augen und führte ihn wie einen Blinden untergehakt weiter über Treppen, auf die Bühne oder auf irgendeinen unsichtbaren Platz, an dem Kusma vortragen sollte. Ewig untergehakt, bis zum nächsten zufälligen Transport, der sie zum nächsten Ort brachte, an dem Kämpfer des unsichtbaren Hinterlandes selbstlos tätig waren.
    Diesmal hatten sie Glück mit dem Transport: ein Prokuror des Sonderkollegiums, der gerade bei demselben Objekt gewesen war, hatte vorgeschlagen, sie nach Solikamsk zu bringen. Der Prokuror fuhr mit seinem eigenen Fahrer, einem jungen Burschen von sehr finsterem Äußeren. Die Entfernung von Molotow bis Solikamsk war beträchtlich, doch darüber machte sich Mark keine Gedanken. Er war glücklich, dass er seine Mitreisenden sehen konnte, dass er durch die Scheibe der Wagentür flüchtige Blicke in die sich draußen verdichtende Dunkelheit werfen konnte. Marks Augen waren von der Augenbinde so ermüdet, dass jetzt selbst die Dunkel­heit allzu hell erschien und unangenehm schmerzte. Aber bei wem und worüber sollte er sich beklagen. Es war schließlich Krieg.
    Die Räder des Gasik-Jeeps drückten ein Krachen aus den Bohlen einer hölzernen Brücke.
    Mark wurde lebendig und drängte sich weiter nach vorn, drückte die Nase an die Scheibe der Tür.
    Irgendwo in der Ferne schimmerten Lichter, und ihr kaum erkennbarer Widerschein zitterte auf dem fernen Wasser.
    „Was ist das für ein Fluss?“, fragte Mark und starrte auf den Rücken ihres Fahrers.
    „Koswa“, antwortete der Prokuror. „Es ist noch weit.“
    Die Brücke und der Fluss blieben hinter ihnen zurück, und nur die Nacht begleitete sie und verließ sie keine Sekunde.
    Sein Hüter Parlachow schnarchte schon und wurde nicht einmal in den Schlaglöchern wach. Der Prokuror vorne mochte wach sein, war aber tief in sich selbst versunken und achtete vermutlich gar nicht darauf, dass man ihn gerade irgendwohin brachte, dass er auf dieser nächtlichen, zerschlagenen Straße ins ferne Solikamsk fuhr.
    Nur der Fahrer drehte das Steuer mit sicherer Hand und kurvte beim Fahren um besonders tiefe Spurrinnen herum. Manchmal hob und senkte er die Schultern und verdrehte den Kopf, um den steifen Nacken zu lockern. Nach hinten wandte er sich nicht um.
    Mark seufzte traurig. Er fühlte sich einsam und schloss mit einem Seufzer die Augen. Nur seine Hände umklammerten noch fester den Käfig im guten Mantelstoff, in dem sein enger Kampfgefährte, das vielleicht einzige ihm nahestehende Wesen saß.
    Solikamsk erreichten sie erst am nächsten Tag gegen Abend. Nachdem sie sich von dem Prokuror und seinem Fahrer verabschiedet hatten, standen sie allein inmitten der grauen, in

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