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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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der Dunkelheit fast unsichtbaren Stadt.
    „Bleib hier und rühr dich nicht!“, befahl Marks Hüter und tauchte ins Dunkel ein.
    Mark stand da und wippte langsam auf den Füßen hin und her, den Käfig samt Überzug noch immer an seine Brust gedrückt.
    „Wie geht es dir da drin, Kusma?“, fragte er mit zitternder Stimme.
    Aus dem Käfig drang kein Laut heraus, und das machte Iwanow Sorge. Schon überlegte er, den Käfig aus dem Futter­­al zu lösen und hineinzuschauen, ob sein Gefährte noch am Leben war, doch gleich darauf erkannte der Künstler, dass das für den Papagei doppelt gefährlich wäre, und er unterließ es.
    Er unterließ es, aber er war nervös und grübelte, wobei er selbst fror. Er hatte Angst, dass sie irgendein Nachtlager finden würden, er dort den Käfig herausholte – und Kusma wäre tot!
    „So, komm mit!“, erklang neben ihm die Stimme seines Hüters Parlachow.
    „Wohin?“, fragte Mark.
    „Baracke Nummer fünfundvierzig der Fabrik N., klar?“
    „Ja.“ Mark nickte, erspähte in der Finsternis von Solikamsk die Gestalt seines Hüters und ging hinter ihm her.
    Die Baracke war aus Holz und hatte zwei Stockwerke. Eine morsche Treppe krachte so unter ihren Füßen, als ob sie im nächsten Augenblick zusammenbrechen wollte.
    Die alte Frau, die sie mit einer Kerze in der Hand zu einer dienstlichen Kammer im ersten Stock führte, plauderte im Gehen: „Nur sind dort die Fenster mit Brettern vernagelt, ihr Lieben … jaja, mit Brettern vernagelt, also legt euch lieber mit den Füßen zum Fenster … sonst werdet ihr noch krank in der Zugluft …“
    Nachdem sie die Kerze auf einen Hocker gestellt hatte, ging die Alte hinaus. Mark sah als Erstes nach dem Papagei. Er lebte. Vor lauter Freude achtete Iwanow gar nicht darauf, wie feucht die strohgefüllte Matratze war. Er legte sich hin, ohne sich auszuziehen, einfach im Mantel, und wartete auf den Schlaf.
    Am Morgen erwachte er von einem Lärm, der von der Straße hereindrang.
    Parlachow war nicht da. Nachdem er sich die Augen gerieben hatte, griff Mark in seinen Reisesack, holte dort das Säckchen mit der Körnermischung und den Fünfzig-Gramm-Messbecher heraus, schöpfte einige Körner und streute sie in den Futtertrog im Käfig.
    Kusma betrachtete gramvoll seine Kriegsration. Und darauf blickte er seinen Herrn an.
    Aus irgendeinem Grunde schämte sich da Mark, auch wenn er sich dem Vogel gegenüber jetzt gar nichts hatte zu Schulden kommen lassen. Er schöpfte noch einen halben Becher heraus, gab Kusma die Körner und verließ das Zimmer, um Wasser zu suchen.
    Bis er die alte Frau gefunden und eine Tasse eisiges Wasser von ihr geholt hatte, war eine Viertelstunde vergangen.
    Marks Hüter saß schon auf seiner Pritsche, auf der die gleiche strohgefüllte Matratze lag. Er saß da und schien auf Mark zu warten.
    „Die Vorstellung ist in der Schichtpause, um eins“, sagte er. „Frühstücken dürfen wir in der Arbeiterkantine in der Baracke Nummer 13 …“
    Mark freute sich, als er von dem Frühstück hörte. Ge­wöhnlich mussten sie mit nichts als einem Mittagessen aus-kommen.
    „… aber dort werden drei Ingenieure im Geheimauftrag frühstücken, also musst du die Augenbinde anziehen …“, beendete Parlachow seine Mitteilung.
    Iwanow seufzte schwer – essen hatte er mit verbundenen Augen bislang noch nicht müssen. Doch er hatte Hunger.
    Nachdem sie den Vogel in der Kammer zurückgelassen hatten, machten Parlachow und Iwanow sich auf die Suche nach der Baracke Nummer dreizehn. Sie brauchten nicht lange zu suchen. Bevor sie den einstöckigen Holzbau be­traten, zog sein Hüter Mark die Binde über die Augen.
    „Siehst du noch etwas?“, fragte er.
    „Das rechte Auge sieht ein wenig …“, gestand Iwanow.
    „Oben oder unten?“
    „Unten.“
    Parlachow zog die Binde etwas herunter.
    „Und jetzt?“, fragte er.
    „Jetzt sehe ich nichts mehr.“
    „Dann halte dich fest, und los!“, kommandierte sein Hüter.
    Wie gewohnt hängte Mark sich bei Parlachow ein.
    „Stufe!“, warnte sein Hüter auf ihrem Weg in die Arbeiterkantine. „Vorsicht, Schwelle! So. Ich setze dich jetzt hier her … setz dich hier. Los, na setz dich!“
    Mark wäre gern so schnell wie möglich mit dem Hintern auf einen Hocker gestoßen, aber er ließ sich vorsichtig absinken. Endlich stieß er an. Er entspannte sich.
    „Was gibt es denn zum Frühstück?“, fragte er.
    Doch niemand antwortete ihm. Parlachow war wohl schon zum Fenster der Essensausgabe

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