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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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schon, naja, mit allen militärischen Ehren …“
    „Nach dem Überprüfen müssen wir das Fass nur wieder zumachen, und fertig!“, bemerkte plötzlich Waplachow und spürte umgehend die begeisterten, wohlwollenden Blicke des Verschiedenäugigen und des Lokführers auf sich.
    „Ohoho!“ Murowannyj strahlte breit von einem Ohr zum anderen. „Warum gibt Gott dem einen einen Kopf und dem anderen nur Hände?“
    Der Vorschlag des Urku-Jemzen wurde angenommen. Sogleich rollte der Verschiedenäugige das kleine Fass in ihr Abteil und holte einen großen Literkrug. Gemeinsam mit dem Lokführer stellte er das Fass behutsam auf den Tisch, und sie kamen nachgerade ins Schwitzen, während sie den hölzernen Stopfen aus dem Deckel zogen. Dann hoben sie, wiederum zu zweit, das Fass an und neigten es so, dass der herausfließende rote Wein augenblicklich den Krug bis zu den Rändern füllte. Er lief über und bildete eine kleine Pfütze auf dem Tisch.
    „Halte doch nicht so hoch!“, rief der Verschiedenäugige verstimmt.
    Sie stellten das Fass zu Boden.
    Dobrynin nahm den Krug in die Hände, hob ihn an die Lippen und sah Kurilowez fragend an.
    „Los, los, probiere, und dann sagst du uns, ob er genug gerollt ist!“, sagte der.
    Dobrynin seufzte und nahm einen großen Schluck. Im Mund war es sogleich angenehm und süß.
    „Na, und?“, fragte der Lokführer.
    Dobrynin überlegte einen Augenblick, dann trank er noch einen Schluck.
    Darauf fragte er: „Wie kann man das denn feststellen?“
    „Vielleicht probiere ich mal?“, bat der Urku-Jemze.
    Froh streckte der Volkskontrolleur seinem Gehilfen den Wein hin, es war allerdings vom Wein kaum noch die Hälfte im Krug.
    Waplachow trank alles auf einen Zug aus und stellte den Krug zurück auf den Tisch, direkt in die Weinpfütze hinein.
    „Und?“, fragte jetzt der Verschiedenäugige.
    Der Urku-Jemze zuckte die Achseln.
    „Es schmeckt sehr gut“, sagte er. „Sogar süß!“
    Ein Schweigen trat ein, in dem Dobrynin sich ein wenig unbehaglich fühlte. Da stellte sich nun heraus, dass er, der Volkskontrolleur, weil ihm die nötige Bildung fehlte, das Rollen des Weines nicht überprüfen konnte. Er schämte sich. Natürlich hätte er gern gesagt, dass der Wein offenbar schon ausgerollt sei und sie ihn gleich direkt nach Moskau fahren könnten. Aber im nächsten Augenblick dachte Dobrynin daran, dass sie diesen Wein in den Kreml brachten, und dort würde Marschall Luganskij oder irgendein anderer fragen: „Wieso ist der Wein denn nicht, wie es sich gehört? Wieso ist er nicht ausgerollt?“ Und man würde ihm sagen: „Wie kann das sein, Volkskontrolleur Dobrynin hat es überprüft und gesagt, er sei schon genug gerollt!“ Lange hätte Dobrynin sich noch mit seinen Gedanken und Zweifeln geplagt, doch da erlöste ihn der Verschiedenäugige.
    „Na, los“, sagte er. „Ich probiere ihn selbst. Ist ja nicht das erste Mal!“
    Der Lokführer und Kurilowez hoben das Fass hoch und füllten den Krug erneut. Der Verschiedenäugige konzentrierte sich, wurde ernst, nahm den Krug und leerte ihn in drei Zügen. Danach stellte er ihn auf den Tisch und horchte in sich hinein, nur seine geschlossenen Lippen bewegten sich.
    „Und, wie?“, fragte der Lokführer.
    „Es scheint, ein wenig fehlt noch … Man muss ihn noch etwas spazierenfahren …“
    „Ach ja?!“, wunderte sich der Lokführer.
    „Probier selbst!“, schlug der Verschiedenäugige dem Lokführer vor.
    Wieder füllten sie den Krug. Der Lokführer trank ihn aus, schmatzte gleichfalls mit den Lippen und wiegte den Kopf.
    „Er muss noch einen Monat gerollt werden, bevor man ihn jemandem zu trinken gibt“, sagte er.
    Darauf steckten sie den Pfropfen zurück an seinen Platz, schlugen kräftig mit einem Bremsklotz drauf, und der Verschiedenäugige rollte das Fass in das Frachtabteil des Wagens davon.
    „Ich werde schlafen!“, erklärte plötzlich Dmitrij ruhig und glücklich, mit einem Gähnen. Dann stieg er auf seine obere Pritsche und legte sich dort still wie ein Toter für lange Zeit hin.
    Fünf Minuten später beschlossen auch der Lokführer und Kurilowez, sich ein wenig auszustrecken.
    Nur Dobrynin blieb wach und saß am Tisch, auf dem die Weinpfütze rot glänzte.
    Er blickte aus dem Fenster, vor dem reglos und in völliger Stille die winterliche Natur stand. Er sah hinaus und dachte daran, dass noch ein Monat vergehen würde, bis dieser Wein ausgerollt war und sie in Moskau einfuhren, wo er die Genossen wiedersehen

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