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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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geholt, Klara hatte sich umgezogen und etwas aus der Kleidung ihres vestorbenen Bruders herausgeholt, damit auch Banow sich umziehen konnte.
    Danach hatten sie jeder hundert Gramm Wodka gegen die nahende Erkältung getrunken, aber das hatte nicht geholfen. Bereits am nächsten Morgen hatte Banow gekrächzt und zu husten begonnen.
    Doch das war nicht das Ärgerlichste. Am meisten bekümmerte Banow, dass er unten auf dem Hügel seine braune Aktentasche vergessen hatte. In der Aktentasche lagen irgendwelche Schulpapiere, nur was genau, das wusste Banow nicht mehr. Er begriff jedoch, dass, wenn erst jemand die Aktentasche entdeckte, für ihn sehr ernste Unannehmlichkeiten entstehen könnten.
    Klara hatte er davon nichts gesagt. Er versuchte Karpowitsch am Telefon zu erreichen, aber dort nahm niemand den Hörer ab. Das war ebenfalls verdächtig, denn nach Karpowitschs Verschwinden hatte Banow von seinem alten Kampfgefährten nichts mehr gehört noch gesehen.
    Als er mit Mühe das Ende des Schultages erreicht hatte, erlaubte er der Petrowna nicht einmal, die Böden zu wischen. Er verschloss die Schultür, stieg in den ersten Stock hinauf und rief Klara an.
    „Klara? Hallo!“, sagte er. „Weißt du, dass Robert in die Suworow-Lehranstalt will?“
    Klara wunderte sich nicht. Sie hatte es bereits gewusst.
    „Soll er ruhig gehen, er ist schon groß“, antwortete sie. „Kommst du heute Abend? Ich mache dir ein Senfpflaster …“
    „Gut“, sagte Banow, verabschiedete sich und legte den Hörer auf.
    Gegen Abend wurde das Wetter wilder, und der Schnee wirbelte in dicken weißen Flocken.
    Banow ging durch die dunkle Gasse und hielt mit den Händen seinen Mantel zusammen, der aus einem alten Soldatenumhang genäht war. Er war nur mit einem einzigen Knopf geschlossen, die übrigen waren schon verloren gegangen.
    Klara erwartete ihn. Auf dem Herd stand heiße Kohl-suppe.
    „Wo ist denn Robert?“, erkundigte sich Banow.
    „In der Theatergruppe.“
    „Und was proben sie da?“, fragte Banow.
    „Etwas über Atheismus …“, antwortete Klara.
    Sie setzten sich zum Essen.
    „In Europa gibt es Streiks“, teilte Klara plötzlich mit. „Das haben sie im Radio gebracht.“
    Banow antwortete nicht. Sein Mund war voll mit Kohlsuppe, und es interessierte ihn auch nicht besonders, was in Europa vorging.
    „Robert fährt am Freitag“, begann Klara kurz darauf. „Nach Jakutsk. Dort wird er leben und lernen. Zieh um, komm hierher … Das Zimmer von Schkarnizkij ist jetzt leer. Du kannst es nehmen.“
    Banow überlegte. Nach der heißen Kohlsuppe fühlte sein Hals sich warm und angenehm an.
    Nachdem er einen Moment überlegt hatte, nickte er.
    Klara lächelte scheu. Sie stand auf, ging zum Herd und sah nach, ob die Kartoffeln schon gar waren.
    „Noch ein bisschen“, sagte sie im Umdrehen. „Und weißt du, was ich gefunden habe?“
    „Was denn?“
    „Hier, schau!“ Klara nahm ein Buch vom Küchenregal und reichte es Banow.
    „Die Nationalgerichte der russischen Eismeerküstenbewohner“, las Banow auf dem Umschlag und blickte fragend auf Klara.
    „Weißt du noch, wie er uns am Donnerstag von der scheußlichen Suppe erzählt hat, die ihm die Küstenbewohner gegeben haben?“
    Banow strengte sein Gedächtnis an. Er wollte nicht zugeben, dass er fast die ganze Unterhaltung verschlafen hatte. Für alle Fälle nickte er.
    „Hier, ich habe diese Suppe gefunden. Sehr wahrscheinlich ist sie das.“ Klara schlug das Buch an einer Stelle auf, an der ein Lesezeichen steckte. „Hör zu: nehmen Sie vier Walross­augen, viel Salz, Leber und Nieren vom Lachs, bringen Sie zwei Liter Wasser zum Kochen …“
    ‚Ein Walross hat doch nur zwei Augen‘, dachte Banow.
    „Hörst du zu?“, fragte Klara.
    „Ja, ja, ich höre zu“, erklärte Banow.
    Klara musterte ihn scharf.
    „Die Kartoffeln sind bestimmt schon fertig!“, sagte sie, klappte das Buch zu und drehte sich zum Herd um.
    Nach dem Essen packte Klara Senfpflaster auf Banows Rücken und Brust.
    Banow wurde es ganz heiß. Er streckte sich auf dem Sofa aus und schlief ein.

Kapitel 17
    Der Zug, den der verschiedenäugige Genosse Kurilowez befehligte, schien Dobrynin ein wenig seltsam zu sein. Er bestand lediglich aus der Lokomotive, einem Tender und einem geschlossenen Wagen dazu, der im Innern in zwei ungleiche Teile geteilt war: ein kleines Vierbett-Dienst-abteil mit Tisch, Fenster und chemischem Ofen, und eine Lade­fläche, auf der dröhnend und donnernd mehrere Fässer

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