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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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gegangen.
    Nachdem er eine Minute reglos da gesessen und auf das Innenleben der Arbeiterkantine gehorcht hatte, zog Mark die Fäustlinge aus, schob sie in die Taschen seines Mantels und rieb die Handflächen aneinander, bis die Haut ein wenig Wärme spürte.
    Metallgeschirr klirrte neben ihm. Mark schrak zusammen und erstarrte erneut.
    Irgendwelche Geräusche waren in diesem Raum zu hören, doch keinerlei Gespräche, nicht einmal ein Flüstern!
    „Da bin ich wieder!“, ertönte in seiner Nähe die Stimme des Hüters Parlachow.
    Direkt vor Iwanow knallte eine gefüllte Schüssel schwer auf den Tisch.
    „Hol die rechte Hand raus!“, bat Parlachow.
    Mark gehorchte.
    „Was gibt es denn?“, fragte der Künstler leise.
    „Hirsegrütze mit Sparfett!“, antwortete Parlachow und setzte sich.
    „Gibt es auch Tee?“
    „Ich hab doch welchen mitgebracht!“, erwiderte sein Hüter leicht gereizt.
    Mit der linken Hand ertastete Mark die Schüssel, rückte sie vor sein Gesicht und zog sie näher an den Rand des Tisches heran. Er begann zu essen. Die Grütze war heiß, und daher schmeckte sie gut.
    „Sind viele Leute hier?“, fragte Mark einen Augenblick später.
    Parlachow drehte ringsum den Kopf und antwortete nach einer Pause: „Achtzehn.“
    Mark nickte.
    Er aß noch drei weitere Löffel Grütze.
    „Gibt es auch Frauen?“, fragte er Parlachow wieder.
    „Alle hier sind Frauen“, antwortete der.
    „Dann sind diese geheimen Ingenieure also nicht da?“
    „Anscheinend nicht.“
    „Dann kann ich vielleicht die Binde abnehmen?“
    „Unmöglich!“, sagte Parlachow streng. „Und wenn sie plötzlich hereinkommen und du sie siehst?“
    „Ja …“, stimmte Mark dem Argument zu und widmete sich wieder seiner Grütze.
    Danach fuhr er langsam mit der linken Hand über den Tisch und suchte den Tee. Er fand ihn. Er trank einen Schluck, und da wurde ihm wunderbar wohl.
    „Wir nehmen Kusma von der warmen Grütze mit, ja?“, schlug er seinem Hüter vor.
    „Nimm nur!“, sagte dieser.
    „Aber worin denn?“
    „Nimm es halt in die Hand!“, warf Parlachow hin.
    Mark trank seinen Tee schnell aus.
    Danach seufzte er schwer. Mit der rechten Hand griff er in die Schüssel mit der nicht aufgegessenen, noch warmen Grütze, schöpfte eine Handvoll heraus und erstarrte. Er dachte nach.
    „Hilfst du mir?“, wandte er sich wieder an den Hüter.
    „Womit denn?“
    „Den Handschuh über die rechte Hand zu ziehen, damit die Grütze nicht kalt wird … in meiner rechten Tasche steckt der Handschuh.“
    Schlecht und recht zog Parlachow ihm den Handschuh über die rechte Hand. Nur gut, dass man Mark Fäustlinge gegeben hatte, die drei Nummern zu groß waren. Die Hand bewegte sich frei darin und die Grütze floß nicht aus der Faust.
    Sie traten auf die Straße. Dort endlich nahm der Hüter die Binde von Marks Augen und sie kehrten in ihre Baracke Nummer fünfundvierzig zurück.
    Kusma schien sich über die warme Hirsegrütze sehr zu freuen. Er pickte sie mit Appetit und Hingabe auf. Mark saß bei ihm, beobachtete den geliebten Vogel und freute sich mit ihm.
    Später probten sie ein wenig und brachen auf zur Fabrik N.
    Kaum tauchte am Ende einer Reihe aus grauen Holzhäusern ein ebensolcher grauer Holzzaun auf, zog Parlachow Mark wieder die Binde über die Augen, Mark hakte sich bei seinem Hüter ein, und sie gingen, nun schon langsamer, weiter.
    Einem Menschen, der nicht wusste, worum es sich handelte, wären die beiden als merkwürdiges Paar vorgekommen: beide in Uniformmänteln, einer aber mit verbundenen Augen und einem Käfig im Futteral in der linken Hand. Es gab jedoch niemanden. Die Straße war verlassen und still.
    „Vorsicht, Stufe und Schwelle!“, warnte der Hüter und zog Mark mit sich nach links.
    Sie befanden sich in der Pförtnerloge. Mark hörte, wie Parlachow einem Soldaten ihr Eintreffen mitteilte und seine und Marks Papiere ausbreitete. Dann waren sie wieder unterwegs, jetzt schon auf dem Gelände der Fabrik N. Hier hörte Mark fortan alle Augenblicke: „Stufe, Treppe, Stufe abwärts …“
    Endlich machten sie Halt.
    „Wo sind wir?“, erkundigte Iwanow sich flüsternd.
    „Im Saal der Fabrik“, antwortete Parlachow knapp. „Gib mir den Käfig!“, befahl er eine Minute später schon leb-hafter.
    Kurz darauf spürte Mark Kusmas scharfe Krallen auf der rechten Schulter.
    „Geht es schon los?“, flüsterte Mark fragend.
    „In ein paar Minuten. Es haben sich noch nicht alle versammelt!“, flüsterte

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