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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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war alles sauber ringsum. Der Fahrer begleitete Dobrynin bis zu der hohen Tür, vor der ein Rotarmist mit einer Kalaschnikow Wache stand. Der Soldat wusste von Dobrynin bereits, und er führte ihn umgehend hinein, ging dann selbst wieder hinaus, schloss hinter sich die Tür.
    Hier war alles wie zuvor.
    Am Tisch saß in einem langen Militärmantel, über ein Blatt Papier gebeugt, der Herr des Arbeitszimmers, der Herr des Kremls und des ganzen Sowjetlandes.
    Beim Knarren der Tür hob er den Kopf, und als er den eintretenden Volkskontrolleur erblickte, stand er auf.
    ‚Mein Gott! Wie alt und mager ist er geworden!‘, ging es Dobrynin durch den Kopf.
    Der Mantel schlackerte am Genossen Twerin wie an einem Kleiderbügel. Die Wangen waren unrasiert, eingefallen, bleich. Das Kinnbärtchen, grau, oder angegraut, war zur linken Seite gedrückt.
    „Na, grüß dich, Pascha!“
    Die Stimme klang erkältet, ein wenig heiser, nur der Tonfall war derselbe wie früher.
    Schnell ging Dobrynin zu ihm hin und drückte ihm die Hand.
    „Es ist kalt hier bei mir“, sagte Genosse Twerin. „Aber das macht nichts, Waffenschmiede aus Tula haben mir einen elektrischen Teekocher geschenkt, jetzt muss ich keinen mehr damit belästigen. Vor einer Stunde habe ich ihn angestellt, jetzt kocht er gleich. Na, also, dann erzähl mal!“
    Ohne den Pelz abzulegen, begann der Volkskontrolleur seine Erzählung. Er begann ganz am Anfang, bei der „japanischen“ Geschichte, bei den Fellen, bei Petrow.
    Genosse Twerin hörte aufmerksam zu, ohne zu unterbrechen, bis der Teekocher sprudelte. Dann legten sie eine kurze Pause ein, der Herr des Zimmers holte Gläser, Glashalter von ungewöhnlichem Äußeren und eine blaue Dose mit Tee.
    „Gefallen dir die Glashalter?“, fragte Twerin, als er bemerkte, wie aufmerksam Dobrynin sie betrachtete. „Die haben Kämpfer von der Südfront geschickt. Sie sind aus den Hülsen von Panzergeschossen gemacht! Unser Volk ist begabt!“
    Sie überbrühten den Tee und schenkten ihn in die Gläser. Genosse Twerin zog aus einer Schublade seines Tisches ein Tellerchen mit ein paar Trockenfrüchten.
    „Nimm sie zum Tee, Pascha!“, sagte er. „Das haben die Kasachen geschickt. Nimm und erzähl weiter!“
    So, Tee trinkend und Trockenfrüchte kauend, setzte Dobrynin seine Erzählung fort. Er erzählte von dem Buch aus Fellen, von dem Panzer mit den erfrorenen Panzerfahrern, von dem Leben bei der geologischen Expedition.
    Danach verstummte er. Seltsam kam es ihm vor, dass er da irgendwo im Norden so lange Zeit, vielleicht zwei Jahre, vielleicht mehr, verlebt hatte und alles, was mit ihm geschehen war, in vierzig Minuten erzählt hatte. Aber dann erinnerte der Volkskontrolleur sich plötzlich, ihm fiel ein, dass er noch kein Wort von dem Zug des Verschiedenäugigen gesagt hatte. Nur kurz davon, wie sie angekommen waren. Auf einmal fiel ihm sein Gehilfe ein. Das versetzte ihn in große Aufregung, und er erzählte Genosse Twerin von dem Urku-Jemzen.
    Twerin schwieg lange und dachte nach.
    „Das hast du dumm angestellt, Pascha!“, seufzte er schließlich. „Wir lassen auch zu Friedenszeiten keinen ohne besonderen Erlaubnisschein nach Moskau hinein, und da hast du sowas in Kriegszeiten gemacht … Sieht man ihm denn gleich an, dass er kein Russe ist?“
    „Nein, nicht gleich …“, antwortete Dobrynin niedergeschlagen.
    „Also, weißt du, ich kann da selbst nichts tun, aber wir wollen etwas anderes versuchen …“
    Dobrynin nickte bereitwillig.
    Twerin erhob sich von seinem Tisch, sah aus dem Zimmer hinaus und sagte etwas zum Rotarmisten, er ihn bewachte. Dann kehrte er an den Tisch zurück.
    „Gleich kommt ein Soldat …“, sagte Genosse Twerin und mahlte dabei mit den bräunlichen Zähnen. „Vielleicht fällt ihm etwas ein … Erzähl du ihm nur selber alles.“
    Darauf hing eine Zeitlang Schweigen im Zimmer. Endlich trat ein Rotarmist, ohne anzuklopfen, ein. Sein Gesicht kam Dobrynin bekannt vor. Als hätte er ihn bereits gesehen und mit diesem Menschen sogar gesprochen.
    Twerin forderte den Soldaten auf, sich an den kleinen Beistelltisch zu setzen, dem Volkskontrolleur genau gegenüber.
    Da erzählte Dobrynin dem Rotarmisten, worum es ging. Der dachte nach. Er bat ihn, den Soldaten, der sie ihn Empfang genommen hatte, nochmals zu beschreiben. Danach sagte er:
    „Ja, ich werd’s versuchen, aber Sie müssen dann mit Lebensmitteln zahlen …“
    Dobrynin nickte.
    „Ich geh dann …“, sagte der Rotarmist und

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