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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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verließ mit ungezwungenem Gang das Zimmer.
    „Er wird es machen!“, sagte Genosse Twerin und nickte dem hinausgegangenen Soldaten hinterher. „Er hat kürzlich meine Schwiegermutter gerettet … nur meiner Frau konnte er nicht mehr helfen, aber sonst vermag er vieles …“
    „War er früher vielleicht einmal bei der Miliz?“, erinnerte sich der Volkskontrolleur endlich.
    „Ja, ja, er stand hier am Eingang …“
    Da erkannte Dobrynin, dass eben dieser Mann ihm damals seinen Reisesack mit der Axt und den Keksen abgenommen hatte, und eben der hatte gewiss auch damals versucht, die Kekse zu essen.
    Es klopfte an der Tür.
    Zwei weitere Rotarmisten traten ein: Einer hielt ein aufgeschlagenes Heft in den Händen, der andere eine Blechkanne an einem Henkel.
    „Hier, Genosse Twerin, bestätigen Sie den Erhalt“, äußerte höflich der Rotarmist mit dem Heft. „Das ist für August und September.“
    Twerin fand seine Brille, beugte sich über das vor ihn auf den Tisch gelegte Heft, las durch, was dort geschrieben stand, und bestätigte.
    Die Rotarmisten verschwanden und ließen die Kanne, die einen Deckel trug, vor Dobrynins Nase auf dem Beistelltisch zurück.
    „Also“, erklärte Twerin lebhaft. „Trinken wir noch ein wenig Tee, und anschließend könnten wir dann ja auch Wein …! Qualitäts-Portwein! Warte mal, ich sehe nach, ob auch alles stimmt.“
    Aus einem hohen Stapel mit Papieren zog er ein Deputierten-Notizbuch heraus und blätterte es nach dem durch, was er suchte. Dann beugte er sich, als er es gefunden hatte, noch einmal über seine eigene kleine Unterschrift.
    Er nahm die Brille ab und klappte das Notizbuch zu.
    „So ist es!“, sagte er ein wenig betrübt. „Für Juni-Juli haben sie nichts gebracht!“
    Das Telefon klingelte.
    „Ja!“, sagte Genosse Twerin in den Hörer. „Eine Sitzung des Verteidigungssowjets? Gut, ich komme!“
    Er legte den Hörer auf und blickte nach der Uhr.
    „Na, ein Stündchen haben wir noch, Pascha!“
    Nun tranken sie schon kein zweites Glas Tee mehr. Sondern sie gossen den roten Wein aus der Kanne in die Teegläser, die Glashalter räumte Twerin fort.
    „Trinken wir auf den Sieg!“, schlug er vor.
    Als er ausgetrunken hatte, hatte Dobrynin den Geschmack erkannt. Es war eben der Wein, den sie mit dem Verschiedenäugigen Kurilowez durchs Land gerollt hatten.
    „Woraus machen sie ihn heutzutage nur?“, meinte Genosse Twerin befremdet, nachdem er kein halbes Glas geleert hatte.
    Wieder schwieg er ein wenig.
    „Ist denn Oberleutnant Woltschanow jetzt hier, im Kreml?“, brach der Volkskontrolleur das Schweigen.
    „Hier, ja, ja.“ Genosse Twerin seufzte. „Nur ist er inzwischen Unterleutnant. Er wurde degradiert … Ich habe es dir nicht erzählt“, fuhr der Herr des Zimmers nach einer Pause fort. „Dank meiner Krankheit bin ich überhaupt nur am Leben geblieben …“
    Voll Schreck und Unverständnis blickte Dobrynin auf Twerin.
    „Es gab hier bei uns wieder eine Überprüfung der Treue. Wie üblich wurde ein Plan erstellt, jeder wusste, wer wann hingehen musste … Gerade wäre ich dran gewesen, da hat es meine Leber erwischt, ich rief an und sagte, ich durchlaufe die ÜT ein paar Tage später; an meiner Stelle sind andere hingegangen … Ja, und dann sind drei dort ums Leben gekommen … durch Stromschlag. Ein Kurzschluss, hieß es … Nur gut, dass ich es diesmal geschafft habe, die ÜT klammheimlich ganz auszulassen, jetzt kommt sie erst wieder in drei Monaten … Tja, und wegen diesem Kurzschluss hat man Woltschanow degradiert …“
    Beim Erzählen war Genosse Twerin in Aufregung geraten. Er nahm sein Glas mit dem nicht ausgetrunkenen Wein zur Hand, und der Wein wäre fast über den Rand hinausgeschwappt. Er trank.
    „Ich hab es satt …“, drang sein kaum hörbarer, geflüsterter Seufzer an Dobrynins Ohr.
    „Willst du ihn sehen?“, fragte Twerin nach ein paar Minuten, als er wieder zur Besinnung gekommen war.
    „Ja.“
    „Irgendwas wollte ich dir sagen …“ Twerin blickte an die weiße Decke. „Jetzt haben sich hier im Zimmer auch noch Ameisen eingenistet. Ich muss den Zucker in zwei Dosen verpacken … Ja! Hier sind zwei Briefe für dich von deiner Familie. Man hat erlaubt, sie dir zum Lesen auszuhändigen, damit du auf dem Laufenden bist …“
    Aus dem vorigen hohen Papierstapel zog Genosse Twerin eine dünne blaue Mappe heraus, löste die Bänder und reichte dem Volkskontrolleur die geglätteten Briefbögen. Er selbst ging im nächsten

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