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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Ignatjewna nach Hause gekommen war, hatte Dobrynin, den Kopf auf den Schreibtisch gelegt, in seinem Arbeitszimmer geschlafen. Mit großer Mühe und der Hilfe seiner dienstlichen Ehefrau hatte er sich ins Schlafzimmer hinüber begeben, hatte sich ausgezogen und richtig in sein Bett gelegt.
    Früh an diesem Morgen war er wach geworden – Marija Ignatjewna schlief noch –, und da hatte er lange in das schöne Gesicht seiner dienstlichen Ehefrau geblickt. Er hatte an den Flieger gedacht, der gewiss den Heldentod gestorben war. Marija Ignatjewna tat ihm leid. Sehr leid sogar. Und mit für sich selbst ganz ungewohnten Gesten, so sanft und vorsichtig er es nur vermochte, hatte Pawel Aleksandrowitsch die Hände nach ihr ausgestreckt, die warme glatte Haut ihrer Schultern mit den rauh gewordenen Fingern berührt und sie an sich gezogen, sie gedrückt, als wolle er die Wärme ihres Körpers unter der Steppdecke in sich aufsaugen. Sie war nicht aufgewacht, hatte nur etwas Zärtliches geflüstert und den Kopf an seine Brust geschmiegt.
    „Pawluscha!“, ertönte jetzt aufs Neue die Stimme seiner dienstlichen Ehefrau vor der Tür. „Es ist schon elf, du hast noch gar nicht gefrühstückt … und willst keinen Tee! Bist du krank?“
    „Nein“, antwortete Dobrynin kurz.
    „Kann ich zu dir reinkommen?“, fragte Marija Ignatjewna.
    Und ohne eine Antwort abzuwarten öffnete sie die Tür und kam herein. Sie trug ein langes graues Hauskleid.
    „Was hast du, Pawluscha?“ An ihrer Miene sah man, dass sie sich wirklich Sorgen machte.
    „Ach, weißt du … Sie rufen nicht an …“, murmelte Pawel Aleksandrowitsch. „Gestern haben sie Dmitrij irgendwohin mitgenommen, sie haben ihn nicht zu mir in den Wagen gelassen …“
    „Und warum bist du nicht angezogen, du erkältest dich doch, Pawluscha! Hast du sie denn angerufen?“
    „Wen?“, fragte Dobrynin verlegen. „Nein, ich habe nicht angerufen … ich weiß nicht, wie …“
    „Komm, wir rufen gemeinsam an!“ Marija Ignatjewna trat zu ihm, ging in die Hocke und umarmte den Volkskon­trolleur, der da nur in seinen schwarzen kurzen Unterhosen saß. „Wir rufen gemeinsam an!“
    Sie holte das Telefonbuch vom Regal und blätterte darin. Sie nahm den Hörer ab und wählte eine Nummer.
    „Hallo, hallo!“, sagte sie. „Die Erste Fernmeldezentrale? Ja? Verbinden Sie mich mit dem Genossen Twerin … der Volkskontrolleur Dobrynin, Pawel Aleksandrowitsch … einen Moment … Pawluscha, nimm den Hörer!“
    Dobrynin presste den schwarzen, kühlen Hörer an sein Ohr.
    Dort piepte etwas, dann knisterte es, und plötzlich er­tönte in der unvermittelt eingetretenen Stille eine bekannte, vertraute Stimme.
    „Dobrynin?“, fragte die Stimme.
    „Ja!“, rief der Volkskontrolleur froh. „Ja, Genosse Twerin, ich bin’s!“
    „Na, grüß dich, Pascha! Bist du in Moskau?“
    „Ja, gestern eingetroffen!“
    „Komisch, mir hat man das nicht gesagt … Mach dich fertig, ich schicke dir einen Wagen und setze gleich Teewasser auf!“
    „Ja, ich warte!“, flüsterte Dobrynin in den Hörer, berauscht von einem unerwarteten Glücksgefühl.
    „Da siehst du!“ Marija Ignatjewna lächelte, das Glück ihres dienstlichen Ehemannes teilend. „Können wir nun früh­stücken?“
    Dobrynin nickte.
    Seine dienstliche Ehefrau rief unten an und bestellte Frühstück.
    „Wo ist denn Grigorij?“, fragte Pawel, während er sich die Hosen anzog.
    „Bei der Kinderfrau, er wird abends gebracht“, antwortete Marija Ignatjewna. „Gedulde dich ein wenig, dann wirst du ihn sehen!“
    Sie frühstückten in der Küche.
    Vor dem Fenster rauschte Regen.
    Die Uhr machte elfmal „kuckuck“.
    Sie aßen etwas und tranken Tee.
    Der Wagen kam immer noch nicht.
    Dobrynin beschloss unterdessen, seinen Reisesack auszupacken, und legte alles auf dem Boden aus. Nachdenklich blickte er von dem Buch aus Fellen zu den Büchern über Lenin, zu dem beinah leeren Beutel mit den zwei angebissenen Zuckerstücken, die natürlich nicht mehr zum Essen, sondern zur Erinnerung da waren.
    Die Zeit verstrich. Abermals machte die Küchenuhr „kuckuck“.
    Vor den Fenstern hatte der Regen zu rauschen aufgehört.
    Da ertönte endlich das ersehnte Klingeln an der Tür.
    Der Fahrersoldat salutierte, und Dobrynin verstand alles. Er zog sich Schuhe an, warf den Pelz über, vergaß in der Eile sich von Marija Ignatjewna zu verabschieden, und lief hinaus.
    Da war auch schon der vertraute Kreml-Flur, der vertraute Pferdegeruch, und doch

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