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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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der Gedanke, dass sie für ihren zehnminütigen Auftritt mehr als einen Tag und eine Nacht hierher gefahren waren, und jetzt würden sie irgendwohin weiter fahren … Aber Mark war bewusst, dass es wichtig war, hier her und auch an die anderen Orte zu fahren, an denen sie gewesen waren oder noch sein würden. Selbst wenn irgendwo die Schichtpause nur fünf Minuten dauerte und Kusma in dieser Zeit nur ein halbes Gedicht würde vortragen können, so mussten sie es trotzdem tun: die Frauenschluchzer, die in Mark Iwanows Gedächtnis nachklangen, waren der unumstößliche Beweis dafür. Mochten diese Frauen lieben, mochten sie sich an ihre Lieben erinnern und an sie denken, so, wie vielleicht eines Tages eine schöne Frau an ihn denken und wegen ihm schluchzen würde, wegen Mark Iwanow, der sich ebenfalls immerzu in der Ferne befand. Fern von Moskau und manchmal auch von sich selbst …

Kapitel 19
    An welcher Stelle der Zug des Verschiedenäugigen unter die Erde hinabgetaucht war, hatte Dobrynin nicht bemerkt. Danach waren sie noch mehrere Stunden durch vollkommene, hallende Dunkelheit gefahren, bevor der Zug an einem von elektrischen Lampen hell beleuchteten Bahnsteig ge­halten hatte.
    Pawel Aleksandrowitsch Dobrynin saß in seinem Arbeitszimmer und dachte an den gestrigen Tag, der seltsam und in manchen Einzelheiten, die der Volkskontrolleur bemerkt hatte, etwas unverständlich gewesen war.
    „Trinkst du einen Tee, Pawluscha?“, ertönte vor seiner Tür die Stimme von Marija Ignatjewna.
    „Später!“, antwortete Dobrynin.
    Direkt vor ihm auf dem Tisch stand ein schwarzer Telefonapparat. Mit der linken Hand schob Dobrynin ihn an den Rand des Tisches.
    Er erinnerte sich daran, dass bei seiner Ankunft ihn ein magerer, spitznasiger, sehr bleicher Mann empfangen hatte. Er hatte einen Orden am Hemd, war in Soldatenuniform und gut geputzten Stiefeln. Unter der Erde war es warm gewesen. Da hatte der Volkskontrolleur an den leitenden Funktionär Viktor Stepanowitsch gedacht und hatte den, der ihn in Empfang nahm, gleich gefragt, wo er jetzt sei. Der Soldat zuckte die Achseln. Er hatte nie von Viktor Stepanowitsch gehört. Dann war Waplachow aus dem Waggon gestiegen, und der Soldat war in Verwirrung geraten, als er den Urku-Jemzen erblickte. Er war für eine Zeitlang davon geeilt und wieder zurückgekehrt, er hatte nervös gewirkt, Waplachow nach seiner Erlaubnis zur Einreise in die Hauptstadt gefragt und war wieder davon geeilt, als er verstanden hatte, dass Dmitrij keine solche Erlaubnis besaß. Er kam erneut zurück, und erst darauf führte er sie, ein wenig ruhiger, durch finstere Gänge, die von roten Notlichtern nur spärlich erhellt wurden. Als sie sich von ihrem Zug entfernten, hatten sie gehört, wie die eisernen Gelenke der Fahrgestelle aufs Neue losknirschten und den Zug, in dem Murowannyj und der Verschiedenäugige Kurilowez zurückblieben, weiter, irgendwohin vorwärts schoben. Schließlich waren sie aus einem unauffälligen einstöckigen Gebäude auf dem Gelände des Kremls herausgetreten, einem Gebäude, das wie ein ordentlich aus roten Ziegel­steinen gemauerter Schuppen aussah. Vor dem Häuschen hatte ein schwarzer Wagen mit Fahrer bereitgestanden. Nachdem er für Dobrynin die Wagentür geöffnet hatte, hatte der Soldat den Urku-Jemzen nicht hinein gelassen und gemurmelt, der werde in einem anderen Wagen fahren.
    Seitdem hatte niemand Pawel Aleksandrowitsch in seiner Dienstwohnung angerufen, niemand war mit Post oder einem Befehl gekommen.
    Hausmeister Wasilij, der unten saß, hatte den Volkskontrolleur sofort erkannt, war zu ihm her gestürzt und hatte ihn umarmt.
    Marija Ignatjewna war noch nicht da gewesen. Nachdem er seinen gar nicht zum Wetter passenden warmen Pelz abgelegt und die Schuhe ausgezogen hatte, war Dobrynin durch alle Ecken der großen Wohnung gewandert. Er konnte nicht einschätzen, wie viel Zeit seit seiner letzten Ankunft in Moskau vergangen war. Aber in der Wohnung war alles unverändert. Nur im Schlafzimmer stand ein hölzerner Kinderwagen. Auf dem Boden darunter lagen Kinderrasseln, bunte, in leuchtenden Farben angemalte Blechkugeln. Daneben gab es auf einem Stuhl einen Stapel gewaschener Windeln und Kinderkleidung.
    Am Kopfende des breiten Bettes, an der Seite, auf der Marija Ignatjewna schlief, stand auf der Spiegelkommode immer noch das gerahmte Porträt des schönen Fliegers. Nur waren jetzt zwei schwarze Stoffstreifen quer über eine Ecke des Porträts gespannt.
    Als Marija

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