Der unersättliche Spinnenmann
Gib mir fünf Pesos.«
»Wir können ja später noch mal rausgehen. Lass uns gehen.«
»Gib mir fünf Pesos, jetzt.«
In Sekundenschnelle verwandelt sich das Gesicht der Frau. Vorher hatte sie einen sanften, ruhigen Gesichtsausdruck. Jetzt wird sie wütend, das Gesicht ist von all den Falten ihres Alters überzogen, und fast schreit sie ihn total autoritär an:
»Wir-ge-hen-jetzt! Verstehst du denn nicht? In welcher Sprache muss ich mit dir reden?«
Der Indio stand auf, und sie gingen. Da sah ich mir die nicht mehr ganz Taufrische genauer an. Von hinten sieht sie aus wie ein junges Mädchen. Gute Figur und guter Hintern. Richtig abstehend. Ich kenne sie, aber ich weiß nicht mehr, woher, denke einen Augenblick nach. Ah, ja. Jetzt hab ich’s. Sie lebt in einem sehr kleinen Zimmer gegenüber der Bäckerei La Gloria. Sie hat ein Hündchen. Wenn ich Brot kaufen gehe, sehe ich oft, wie sie auf ihr Hündchen aufpasst, das auf den Bürgersteig pisst und kackt.
Seit Tagen habe ich nicht mehr gevögelt. Meine Phantasie geht mit mir durch. Ein Dreier wär jetzt super. Ich stehe auf und folge ihnen. Da sind sie. Unauffällig gehen sie nebeneinander her. Ohne sich anzufassen. Sie laufen zwei Blocks die Ánima-Straße hinunter und betreten dann das Zimmer der Alten. Ich bleib an der Ecke stehen und beobachte sie. Man kann gut sehen, was drinnen vor sich geht, weil die Tür offen steht. Da sitzt ein Alter vor dem Fernsehgerät. Er muss über achtzig sein. Er könnte ihr Vater oder ihr Mann sein, wer weiß. Er sieht starr auf einen alten russischen schwarz-weißen Fernsehapparat. Sie zeigen eine Parade auf dem Malecón, Fahnen, rufende Menschen, Politiker, Reden, Tribünen, Einstellungen vom Malecón aus einem Hubschrauber heraus. Ich kann nicht hören, was sie sagen. Sie rufen etwas. Keine Ahnung. Der Alte sieht sich das stumm und starr an. Neben ihm lehnen zwei Krücken. Er muss wohl halb gelähmt sein und sich alles reinziehen, was das Fernsehen bringt. Er ist schon tot und weiß es nur noch nicht. Die Alte und der Indio gehen ins andere Zimmer. Im Türrahmen hängt ein Vorhang aus geblümtem Stoff. Der Alte rührt sich auch jetzt nicht, sitzt da wie hypnotisiert von den Fähnchen im Fernsehen. Er nimmt nichts anderes wahr. Ich lehne mich an die gegenüberliegende Wand und beobachte ihn. Es ist sehr heiß und schwül und die Straße ist voller Menschen. Von überall her laute Musik, schreiende Kinder, Krach, Mülleimer, die von stinkendem Abfall überquellen, Frauen, die ebenfalls schreien. Ich hätte Lust, durch den Vorhang zu linsen und ein bisschen zuzuschauen, mir einen runterzuholen. Ich könnte hingehen und irgendwas anbieten. Fragen, ob sie irgendwas brauchen … was? Keine Ahnung. Irgendwas. Ah, ja, das ist es, Gift gegen die Kakerlaken. Soll ich bei Ihnen gegen Ungeziefer spritzen? Ich überquere die Straße. Sie ist sehr schmal. Mit zwei Schritten bin ich an der Tür und grüße den Alten:
»Guten Tag. He, hören Sie, guten Tag.«
Ich berühre ihn an der Schulter. Er schaut mich eine Sekunde lang an und wendet sich wieder den Fahnen im Fernsehen zu. Ich grüße ihn noch einmal:
»Guten Tag. Ich sprühe gegen Ungeziefer. Soll ich bei Ihnen sprühen?«
Er sieht mich nicht an. Ist wie hypnotisiert. Der Ton des Fernsehapparats ist völlig heruntergedreht. Man hört überhaupt nichts. Man sieht nur Menschen, die schreien. Ich überlege, ob ich zum Vorhang gehen und fragen soll. Ich traue mich nicht. Sicher sind sie zusammen im Bett. Und richtig bei der Sache. Wenn ich den Kopf hineinstecke und sie frage, ob ich sprühen soll, werden sie Krach schlagen, und ich habe keine Lust auf noch mehr Probleme mit der Polizei. Hab schon genug davon. Ah, verflucht. Aber ich werd sie mir holen. Von jetzt an setz ich der Alten nach und werd sie schließlich schon verführen. Sie mag junge Kerle, aber ich bin auch noch ganz gut drauf. Und dann überrede ich beide, und wir machen den Dreier.
Ich gehe Richtung San Lázaro. Steige langsam die Treppen zu meiner Wohnung hinauf. Es gibt immer was zu tun. Ich suche unter meinen Büchern. Es fällt mir immer schwerer, ein interessantes Buch zu finden. In einer Ecke liegen ein paar ziemlich alte, die ich von meinem Onkel Agustín geerbt habe, der nach Miami ging, als die Rumba ihm hier zu heiß wurde. Ich glaube, Mitte der Sechziger. Er schenkte mir drei Kisten Bücher und seine Schreibmaschine. Eine Underwood von 1923. Wenn er noch lebt, wird er sich bestimmt nicht vorstellen können,
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