Der unersättliche Spinnenmann
das Rum ist. Es muss Fusel sein, aus irgendeiner Schwarzbrennerei. Ich kaufe eine Zigarre und zünde sie an. Ich sitze auf dem hintersten Barhocker und lehne mich gegen die Wand, so dass ich den Eingang der Bar im Blick habe und ein Stück der Straße. Es gibt zwei breite Türen, die immer offen stehen.
Direkt gegenüber, auf der anderen Straßenseite, liegt der Eingang zum Keller des Staatsschatzes. Manchmal wird das ganze Viertel von schwarz gekleideten Soldaten mit Maschinenpistolen umstellt. Der Verkehr wird umgeleitet. Man wird nicht mehr durchgelassen. Riesige LKWs werden quer gestellt und sehr schwere Holzkisten auf- oder abgeladen. Sogar auf die Dächer stellen sie Soldaten, die mit ihren Maschinenpistolen in alle Richtungen zielen. Sie erinnern mich an »Blade Runner«, aber man sieht, dass sie vor Angst zittern.
Ein Typ von der Polizei hat mir erzählt, dass er mal da drin war. Es ist ein Riesengebäude, das als Sitz der Nationalbank entworfen und gebaut wurde. Ich weiß nicht, was damals geschah. Schließlich ist die Bank dort nie eingezogen. Es ist jetzt ein Krankenhaus, aber im Keller sind die supersicheren Kammern des Staatsschatzes. Der Typ erzählte mir, dass er mehrere Stockwerke mit dem Fahrstuhl runterfuhr, mit zahllosen Sicherheits- und Kontrollsystemen, bis er in die Gewölbe gelangte, wo die Goldbarren lagern und die Kisten mit Diamanten und Edelsteinen, außer den Millionen in Banknoten aus der ganzen Welt. Ich stellte mir das alles vor und fragte ihn:
»Wie der Schatz von Ali Baba?«
Er fragte zurück:
»Wer ist Ali Baba?«
Der Typ hat da als Wachmann gearbeitet. Fünfzehn Tage zur Probe, aber er hat’s nicht ausgehalten. Er bekam Anfälle von Platzangst, und sie haben ihn nicht genommen. Er schluckt zwei Flaschen Rum am Tag. Ich glaub, das war sein Problem damals. Da unten konnte er nicht alle zehn Minuten saufen.
Der Typ hat mir das alles schon zweimal erzählt. Und seine Augen leuchten dabei. Ich vermute, meine auch. Aber er ist Polizist. Keiner von uns beiden traut sich, noch mehr anzudeuten. Das müsste im großen Stil ablaufen. Ein großes Mafia-Ding. Mit einem Schnellboot, das in der Nähe wartet. Ich hab alles im Griff. Wenn wir mit dem Schnellboot entkommen sind, jage ich den anderen eine Kugel in den Kopf. Dann binde ich jeder Leiche einen Zementblock an die Füße, und adiós. Frühstück für die Haie. Hab keine Lust auf Zeugen.
Ich kippe den Rum. Bestell noch einen doppelten. Schüttle den Kopf, schnippe mit den Fingern und sage zu mir selbst: »Hey, Alter, wach auf und träum nicht! Komm zurück!« Doch gleich darauf antworte ich mir: »Und warum nicht? Vielleicht geht das nicht im großen Stil, aber es muss da doch eine Lücke geben, die es mir möglich macht, fünf oder sechs Barren rauszuholen. Und das war’s. Man darf nicht unbescheiden sein. Nur das Notwendigste.« Das Problem ist nur, dass man nie weiß, was das Notwendigste ist.
Der Barhocker neben mir ist frei. Die drei anderen sind besetzt. Ein Typ kommt rein und setzt sich. Er ist jung, schlank, sehr ernst, hat ein knochiges Gesicht. Ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt. Seine Hände sind riesig, kräftig, unförmig, die Haut und die Nägel von Kalk und Zement bedeckt, wie die Schuhe auch. Er ist schlecht angezogen. Es begleitet ihn eine Mulattin von ungefähr sechzig Jahren oder älter, mit grauen Strähnen im Haar. Trotzdem hat sie noch einen schlanken, biegsamen Körper, mit kleinen Titten. Sie trägt eng anliegende gelbe Shorts, die ihren Hintern hart und attraktiv hervorstechen lassen. Der Kerl ist ein typischer Indio aus dem Osten, mit sehr schwarzem, strähnigem Haar. Sehr männlich. Sich seiner Männlichkeit allzu sehr bewusst, um sich wirklich sicher zu sein. Normalerweise sind sie bisexuell, aber sie brauchen das ganze Leben, um es anzunehmen. Er setzt sich, und sie bleibt hinter ihm stehen. Lehnt sich an seinen Rücken und streichelt ihn. Sehr aufreizend. Er bestellt einen doppelten Rum und eine Schachtel Zigaretten. Sie öffnet einen kleinen Geldbeutel und gibt ihm einen Zehn-Pesos-Schein. Er zahlt. Gibt ihr das Glas. Sie nippt nur daran und gibt es ihm gleich wieder zurück. Er trinkt es auf einen Zug aus und stützt sich mit den Ellbogen auf die Theke, sehr ernst, sehr männlich. Er schaut geradeaus, wie ein harter, unerbittlicher Macho. Und raucht. Die Zigarette verliert sich fast zwischen seinen Riesenhänden. Sie streichelt ihm das Haar und sagt:
»Komm, lass uns gehen.«
»Nein, noch nicht.
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