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Der unersättliche Spinnenmann

Der unersättliche Spinnenmann

Titel: Der unersättliche Spinnenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutierrez
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weit, und der Fahrstuhl ist auch kaputt. Das geht also nicht.«
    Der Fahrstuhl ist schon seit Jahren kaputt. Acht Stockwerke. Seither lebt sie wie eine Nonne in Klausur. Derart sind in letzter Zeit unsere Gespräche. Und schlecht über die Regierung reden. Sie sinniert über irgendein Thema und landet immer bei apokalyptischen Vorahnungen:
    »Ich werd’s ja nicht mehr erleben. Ich hab nicht mehr lang zu leben, aber du, du wirst es erleben. Das wird noch in einem Straßenkrieg enden.«
    Für alles sieht sie schwarz. Manchmal reden wir eine Stunde oder mehr über den Tod, über die Kranken, darüber, wie schlecht alles läuft, die gebrechlichen Alten, die mit drei Dollar Rente im Monat auskommen müssen, und wie schlimm die Einsamkeit ist. Verdammt! Sie steckt mich an. Mit meinen fünfzig Jahren muss ich so deprimierende Themen vermeiden. Sie ist ungefähr achtzig. Soll sie sich doch selbst fertig machen, mich soll sie aber in Ruhe lassen. Vor allem hat sie Angst: vor dem Tod, vor der Einsamkeit, vor dem Donner. Manchmal hört man nachmittags trockenes Donnergrollen, wenn sich über dem Meer Gewitter bilden, die aber nicht an Land gelangen. Sie bekommt jedes Mal eine Heidenangst. Sie meint, ein Blitz könnte unser Haus zerstören und sie hätte kein Dach mehr über dem Kopf. Dann legt sie los, weil es keine Sozialfürsorge gibt noch sonst irgendwas. Jeden Tag findet sie einen neuen Grund, Angst zu haben. Manchmal habe ich das Gefühl, es ist wie eine Sucht. Die Armut und die Mutlosigkeit lassen sie jeden Tag aufs Neue die Angst suchen. Und sie findet sie auch. Furchtbar, alt und gebrechlich zu werden und arm zu sein. Vielleicht ist es ein bisschen besser, alt und gebrechlich zu sein, wenn man Geld hat. Keine Ahnung.
    Ich trinke den Kaffee. Er schmeckt nach Kakerlaken. Sicher hat sie Kakerlakeneier in der Zuckerdose. Sie macht nie sauber und lebt total versifft. Die Rente reicht ihr nicht, und sie bekommt nicht genug zu essen. Sie scheint an Blutarmut zu leiden, denn sie sieht aus wie ein Sack Haut und Knochen. Das alles hält sie in einem depressiven Dauerzustand. Und deshalb macht sie auch nicht sauber noch sonst irgendwas. Ein Teufelskreis also, aus dem sie nicht herauskommt.
    »Na gut, ich dreh mal ‘ne Runde«, sage ich zu ihr.
    »Sieht nach Regen aus. Mach die Fenster gut zu«, rät sie mir.
    Der Tag ist bewölkt, hässlich, bleiern, schwül. Ein total drückender Sommertag. Die Atmosphäre lädt sich statisch auf. Ich fühle mich müde, hab kaum Lust zu laufen. Und es regnet nicht. Es ist, als steckte man in einem Dampfkochtopf.
    Dennoch höre ich auf den Rat und schließe sorgfältig die Fenster. Ich nehme eine Aspirin, laufe die Treppen runter, gehe ein paar Blocks und dann die Belascoaín-Straße hinauf. Ich mag die verkommenen Bars, die an dieser Straße liegen. Da sind immer viele Leute: Straßenverkäufer, Herumlungerer, sehr junge, billige Huren, dicke Alte, die auf Sex aus sind. Die gibt’s umsonst, aber sie sind abstoßend. Schmutzige alte Männer, Bettler, die die Hand aufhalten, Behinderte, Blinde und Taubstumme, die Krimskrams verkaufen, verrückte alte Frauen, besoffene alte Männer. Jede Menge verkommener, zerlumpter Leute also. Und jede Menge heruntergekommener Mietshäuser in der Gegend, und die Schwarzen, Männer und Frauen, spazieren ziellos umher und warten darauf, dass irgendwas passiert. Es passiert nie was. Sie spazieren aber weiter umher und warten, dass was passiert.
    An der Belascoaín-Straße, zwischen Ánimas und Virtudes, betrete ich eine Bar mit dem Namen Cafeteria Las Delicias. Der Name ist mit großen, gelben, unförmigen Lettern auf die tintenblaue Außenwand gepinselt. Daneben hat man etwas gemalt, das erotisch aussehen soll: eine Frau im Bikini, an einem Strand, unter einer Palme. Es sieht aus wie eine Kinderzeichnung. In Wirklichkeit müsste es heißen: »Bar« Las Delicias. Es gibt dort nur billigen Rum, Zigaretten und Zigarren. Manchmal haben sie auch kaltes Bier und etwas Leichtes zu essen: Kroketten.
    Ich mag diese Bar. Vielleicht, weil sie klein ist. Sie hat einen ungefähr drei Meter langen Tresen mit fünf Barhockern, die an den Boden geschraubt sind. Sie drehen sich nicht. Nur ein Angestellter, ein sehr dünner Typ, bedient, immer im Stehen. Er bedient schnell und gut, also wird er außer seinem Hungerlohn noch einen ordentlichen Schnitt nebenher machen. Ich bestelle einen doppelten Rum. Er schenkt ein, und ich probiere. Arrg, der reine Alkohol. Ich glaube nicht, dass

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