Der unersättliche Spinnenmann
wieder:
»Das ist ein Virus. Und das dauert mindestens sieben Tage.«
Doch in Wirklichkeit geht es ihr am vierten Tag wieder gut. Und mir immer schlechter. Der fünfte Tag vergeht, der sechste, es kommt der siebte. Ich nehme mir fest vor, meine Dosis von Liebe und Mitgefühl für die Menschheit zu erhöhen. Und sag mir immer wieder: ›Ich muss meine Giftproduktion unter Kontrolle halten. Das geht nicht so weiter.‹
Da kommt eine Postkarte von Emilio, einem alten Freund, der in Nordspanien lebt. Er ist ein unheimlich ätzender Dichter, der sich dauernd selbst beweihräuchern muss: »Ich bin sehr gut ausgestattet, weißt du. Mein Schwanz hat eine Menge Leute glücklich gemacht.« Gerade hat er sich scheiden lassen. »Hier verläuft das Leben wie auf einem Korridor. Wenig Interessantes zu beiden Seiten, zumindest nichts für mich, wobei ich das Interesse im Laufe der Jahre immer mehr verliere. Ich weiß nicht, ob ich die Außenwelt hasse oder ob sie mir einfach egal ist. Ich schreibe nicht, und ich weiß nicht, was aus meinem Leben in den nächsten …« Ach, zum Teufel damit.
Ich krame die Abenteuer des bescheuerten Spinnenmanns hervor. Das Drehbuch ist völlig idiotisch. Die Zeichnungen gefallen mir sehr. Ich lese es langsam ein ums andre Mal und sehe mir jede Einzelheit genau an. Ja, ich könnte diese miesen, kleinen Geschichten schreiben und würde eine Wahnsinnsfigur erschaffen: DEN ERSTAUNLICHEN GORILLAMANN, der eine wilde und endlos erotische und hypnotische Affäre mit der FASZINIERENDEN SCHLANGENFRAU hätte, die wunderschön und megaböse sein würde, aber die Möse eines frühreifen Mädchens hätte und ihn ihrerseits mit dem GEHEIMNISVOLLEN VAMPIRMANN betrügen und sich über ihn lustig machen würde. Und in einigen Kapiteln käme in Vollmondnächten noch DER BLUTRÜNSTIGE WERWOLF hinzu, ein Hermaphrodit dem Körper und der Seele nach, bei dem beide Geschlechter wunderbar ausgeprägt sind. Schauplatz wären die Ruinen von Baelo Claudia, mit den Geistern der römischen Generäle, die wie Voyeure von ihren Pensionärsvillen aus zuschauten. Mit diesem Viereck aus Hass, Liebe und Ungewissheit könnte ich Tausende Kapitel schreiben. Wir könnten sogar CDs verkaufen mit den Live-Aufnahmen von den ausgedehnten und außergewöhnlichen Orgien der Schlangenfrau mit dem Gorilla. Und mit dem Vampir. Und des Gorillas mit dem Werwolf. Dem Vampir, der es mit dem Werwolf treibt. Also alle möglichen Kombinationen. Oder unmöglichen Kombinationen. Es wäre ein Riesenerfolg. Es erregt uns doch alle, Voyeure zu sein.
Uff, das Fieber und der Durchfall gehen nicht weg, und mir geht’s sehr schlecht. Vielleicht dringt mir schon destillierte Scheiße, das heißt gefährliche Gifte, in mein Spatzenhirn. Ich strenge mich an, um das bisschen Energie zu sammeln, das mir noch bleibt. Sieben Tage Virus und Dauerdurchfall sind eine ernste Sache.
Ich ordne meine Farben. Versuche, das Bild von der Landstraße am Meer zu malen, dem Mond und den ockergelben Maschinen. Beim ersten Versuch wird es nichts. Ich füge die beiden Kühe hinzu. Noch schlechter. Es ist verkehrt, total verkehrt und zusammenhanglos. Ich versuch’s noch mal. Übermale etwas und verändere es. Noch mal schlechter. Julia kommt und wirft einen Blick darauf. Sagt kein Wort. Geht wieder weg. Kommt eine Minute später zurück und fragt mich ganz zärtlich:
»Möchtest du heute Abend eine Hühnerbrühe?«
»Ja.«
»Und ein bisschen gekochte Yucca?«
»Nein. Weißen Reis. Und möglichst weich gekocht, Julia. Diesen körnigen Reis, den du machst, kann kein Mensch essen.«
Sie hat sich wieder völlig erholt. Sie hält mehr aus als ein Skorpion. Ich hab jetzt seit acht Tagen das Virus und bin immer noch halb tot. Ich trete ein bisschen zurück und sehe mir das Bild mit Abstand an. Es ist die reine Scheiße. Kein Zweifel. Ich muss die Szene vergessen. Es wird Jahre dauern, bis ich sie vergesse und loslasse, damit sie ins Unterbewusstsein abtauchen kann. Mit dem Ziel vor Augen funktioniert mein ganzer Geist wie ein großer Schutzwall. Ich muss meine Ziele vergessen. Ich muss meine Ziele vergessen. Ich muss meine Ziele vergessen.
In der Region des Teufels
Ich war dabei, ein Bild zu malen, aber es geriet mir zu hübsch. Ich legte Mahler auf. Die »Zehnte Symphonie«, in A-Dur. Ich drehte den Ton voll auf. Mahler dröhnte los. Alle Saiten schrillten. Aber auch das half nichts. Das Scheißbild wollte einfach nicht das kleinste bisschen hässlicher
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