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Der unersättliche Spinnenmann

Der unersättliche Spinnenmann

Titel: Der unersättliche Spinnenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutierrez
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Haus, wie es sich gehört. Du weißt schon. Drei Abende hintereinander, von heute an.«
    »Ach, mein Sohn, ich spiel doch schon seit Jahren nicht mehr.«
    »Na, jetzt hast du aber die Zahlen bekommen. Und das sind der Hund und San Lázaro. Du musst heute Abend Lotterie spielen. Setz aber nicht mehr ein als fünf Pesos. Wenn du mehr setzt, werden sie nicht gezogen.«
    »Also gut, wenn du es sagst, dann wird’s wohl so sein.«
    Meine Mutter ist ein bisschen spiritistisch. Nicht allzu sehr. Weniger als meine Großmutter, die vor fünfzehn Jahren starb, die aber immer noch in der Nähe ist und uns leitet, wo sie kann. Auf jeden Fall hat meine Mutter manchmal Vorahnungen und sieht meinen Vater auf der Türschwelle sitzen. Sie wusste, dass der Hund etwas Heftiges abgeholt hat und deshalb wie vom Schlag getroffen umfiel. Ich hab weniger Talent. Zum Glück sehe ich keine Toten. Manchmal sehe ich die Lotteriezahlen voraus. Aber nie für mich selbst. Wenn ich meine, ich muss jemandem sagen: »Setz heute soundso viel Pesos auf die und die Nummer«, treff ich immer ins Schwarze. Ich irre mich nie. Immerhin. Meine Großmutter hatte da viel mehr drauf. Sie heilte die ganze Nachbarschaft durch Handauflegen und Beten. Aber das ist schon in Ordnung so. Ich beklage mich nicht.
    Ich wandte mich wieder dem erstaunlichen Spinnenmann zu. Unmöglich:
    »Ach, mein Sohn, da bist du nur so kurz da und fängst gleich wieder an zu lesen.«
    Ich faltete die Beilage zusammen und steckte sie in die Tasche. Ich würde schon zum Lesen kommen. Geduldig hörte ich mir den ganzen Klatsch des Viertels an. Er dreht sich ums Geld und ums Essen, das es nicht gibt, um die, die nach Miami abhauen oder woanders hin, und die Tricks, die sie erfinden, um abhauen zu können. Geld, Essen, Visa. Das sind die großen Träume des Viertels, den offiziellen Berichten meiner Mutter zufolge.
    Gemeinsam aßen wir zu Mittag. Dann hielt ich ein halbes Stündchen Siesta. Wir tranken zusammen Kaffee, und ich fuhr zurück. Es war vier Uhr nachmittags, und die Leute waren noch viel genervter. Und es war auch heißer. Stank mehr nach schalem Schweiß. Ich versuchte mich auszuklinken. Holte die Beilage raus und versuchte den geheimnisvollen Spinnenmann zu lesen. Unmöglich. Zu viele Leute, die schubsten, Taschendiebe, ein Grabscher, der seinen Schwanz an die Frauen mit den größten Ärschen presste. In Wirklichkeit ist das eigentlich kein Bus, sondern ein »Kamel«: eine Art Tieflader mit achtzehn Rädern und zweihundert zusammengepferchten Fahrgästen auf einer Fahrt von einer Stunde und fünfzehn Minuten oder so. Ich versuchte mich in Gedanken zu entfernen. Als ich noch ganz jung war, machte ich einmal einen Kurs im Drehbuchschreiben für Comics. Ich bekam nie ein Drehbuch zustande. Mir fiel einfach nichts ein. Nicht eine einzige Idee für irgendeine originelle Hauptfigur. Jetzt, glaube ich, könnte ich das genauso wenig. DER UNGLAUBLICHE SPINNENMANN. DER AUSSERGEWÖHNLICHE SPINNENMANN. DER WUNDERBARE SPINNENMANN. DER GEFRÄSSIGE, DER FASZINIERENDE, DER GEHEIMNISVOLLE, DER TÖDLICHE SPINNENMANN. Ich würde nie über den Titel hinauskommen. Kein Wort weiter. Wer kommt schon auf die Idee, dass es eine radioaktive Spinne geben könnte, die beim Biss übernatürliche Kräfte überträgt? DER BESCHEUERTE SPINNENMANN. DER IDIOTISCHE SPINNENMANN.
    Es ist offensichtlich, dass ich die Kindheit vor allzu langer Zeit hinter mir gelassen habe. Ich bin jetzt DER ERWACHSENE SPINNENMANN. Ohne Phantasie, ohne Sinn für Humor. Wenn man einen psychologischen Test bei mir machen würde, fände man sicher große Mengen Gift in den Drüsen meiner Eckzähne. Unbefriedigtes Verlangen, zu morden und zu schlagen, und einen exzessiven Sexualtrieb. Mit fünfzig Jahren sollte ich eigentlich realistischer und ausgeglichener sein. Der Sex quält mich richtig. Ich sehe einer endlosen Zahl von Frauen nach: einigen mit gutem Hintern, anderen mit hervorstehenden Brustwarzen, freiem Bauchnabel, in Tops und engen Shorts, in denen sich sogar Schamhaar und Schamlippen abdrücken. Manche sehen mir direkt in die Augen, provozierend, mit solch karamellfarbenen Augen. Was zum Teufel sehen sie in mir? Ob sie glauben, dass ich Geld habe, oder wollen sie tatsächlich Sex? Oder brauchen sie Liebe? Oder ist es nur das angeborene Talent, zu provozieren und zu verführen? Sie verwirren mich. Vor ein paar Tagen hab ich mir einen Ruck gegeben und einen Nachbarn gefragt. Einen sehr alten Typen, der aber immer ein harter

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