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Der unersättliche Spinnenmann

Der unersättliche Spinnenmann

Titel: Der unersättliche Spinnenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutierrez
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zittert.
    Die Predigerin brauchte eine Minute, um die erste Salve abzuschießen, dann fragte sie mich etwas. Das ist ein Trick, um die Unterhaltung fortzusetzen. Ich gebrauche ihn auch immer. Wenn man etwas fragt, muss der andere antworten. Wenn der andere spricht, braucht man nur aufmerksam zuzuhören, ihm gerade zwischen die Augen zu blicken und ab und zu einen kurzen Ausdruck des Interesses von sich zu geben. So etwas wie »Ah« oder »Genau«. Ich war lange Jahre Radioreporter, und das waren meine einfachsten Tricks, um die Dummheit noch größer und dümmer zu machen.
    Natürlich antwortete ich nicht auf ihre Frage. Sie war metaphysisch, und es war keine Antwort möglich: »Gott hat uns alle auf die Erde gebracht, um zu lieben und geliebt zu werden. Was muss unsere Antwort auf die göttliche Gnade sein?«
    Ich lächelte und sagte:
    »Wollen Sie ein Glas Wasser?«
    »Ohhh …«
    »Es ist abgekocht, keine Sorge. Das erfrischt Sie ein bisschen. Bei dieser Hitze und acht Stockwerken zu Fuß …«
    Ich holte ihnen das Wasser und fragte sie:
    »Möchten Sie einen Kaffee?«
    »Nein! Nein!«, meinte die Predigerin erschrocken, als hätte ich ihr vorgeschlagen, russisches Roulett zu spielen.
    Koffein muss wohl tödlich sein. Sie ging wieder zum Angriff über:
    »Kennen Sie die Bibel?«
    »Ja, ich mag besonders die Evangelien.«
    »Ah, dann sind Sie also …«
    »Schau, meine Liebe, die Evangelien sind wunderbare kleine Romane, aber ich mag keine Pfaffen, keine Kirchen, keine Messen, keine Riten und auch nicht das ganze Theater, das da angestellt wird. Keine Religion und auch keine Politik. Aus Prinzip lehne ich alles ab, was eine Achse der Macht darstellt.«
    »Eine Achse der Macht?«
    »Ja.«
    »Ähhh …«
    »Du weißt nicht, was eine Achse der Macht ist? Man manipuliert dich von einer Achse der Macht aus.«
    »Ähhh … sicher haben Sie in der Bibel gelesen, dass Jehova …«
    Sie hatte ihr Ziel erreicht: mich zum Diskutieren zu bringen und ihr Spiel mitzuspielen. Ich zog es vor, zu schweigen, suchte ein paar Mal den Blick der Mulattin, die den Mund nicht aufmachte. Sie sah mich genauso an. Verstohlen. Mir schien, als verstünde oder begriffe sie nicht ganz, was ihre apostolische Gefährtin predigte. Vielleicht erfüllte sie nur die Funktion der Leiterin in dieser Teufelsregion der Stadt.
    Schließlich machte die Predigerin eine Pause, um Luft zu holen, und die nutzte ich aus, um die beiden zu verabschieden:
    »Also, meine Lieben, besten Dank, aber ich bin bei der Arbeit.«
    »Es war uns ein Vergnügen, Bruder. Dürfen wir irgendwann einmal wiederkommen?«
    »Ja, natürlich. Wann immer ihr wollt.«
    Als ich die Tür schon fast geschlossen hatte, suchte die Mulattin noch einmal meinen Blick, und wir sahen uns intensiv an. Verdammt, welch ein Jammer. Mir schien, als warte sie nur darauf, eine lange, saftige Sünde zu begehen. Sie hätte allein kommen sollen. Ich schloss die Tür und ging zu meinem Bild. Es lag am Boden, auf den alten Zeitungen, stolz und hochmütig. Ich bekam Lust, ein bisschen darauf herumzutrampeln und es durch die Mangel zu drehen. Ich beherrschte mich. Zog mir meine Tennisschuhe und ein T-Shirt an und ging die Treppe hinunter. Lief zur Bäckerei, um das karge tägliche Brot zu kaufen.
    Gegenüber der Bäckerei standen zwei Polizeiautos und ein weiteres der Kripo. Man konnte sehen, dass sie im zweiten Stock in einem kleinen Apartment mit Balkon arbeiteten. Auf der Straße lauerte eine Gruppe Schaulustiger. Ein Krankenwagen der Gerichtsmedizin kam angefahren. Man trug eine Bahre nach oben. Ich horchte mich unter den Schaulustigen um, doch keiner hatte Lust zu reden. Alle sagten: »Keine Ahnung.« Manchmal meinen die Leute, ich bin ein Bulle in Zivil. Hat man mir schon immer gesagt. Sie sahen mich an und zuckten die Schultern. Schließlich fand ich eine alte Frau, die sagte:
    »Da haben sie gestern Nacht einen umgebracht. Armer Kerl.«
    »Einen aus der Nachbarschaft?«
    »Ja, Rodolfito. Er lebte allein.«
    »Hat man ihn ausgeraubt?«
    »Keine Ahnung. Er hatte diese Neigung, Sie wissen schon …«
    Sie machte eine Geste, als knicke ihre Hand weg. Der Typ war schwul.
    »Ah, war er …?«
    Sie machte wieder diese Geste.
    »Ja, wissen Sie. Ich wusste, dass das böse enden würde. Armer Kerl.«
    »Weshalb?«
    »Er hat immer alle möglichen Typen mit hochgenommen. Nie mehrere auf einmal. Ein Mann, der mit einem Mann schläft, das … ich respektiere alle Welt, damit ich respektiert werde, aber diesmal war es

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