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Der unersättliche Spinnenmann

Der unersättliche Spinnenmann

Titel: Der unersättliche Spinnenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutierrez
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Bursche gewesen ist. Einer von denen, die immer alles im Griff haben. Er lebt davon, Wetten für die illegale Lotterie am Abend anzunehmen. Er macht das mit der Lotterie aus Venezuela, die hier gut im Radio zu hören ist. Das ist eine richtige Kunst. Er läuft durchs Viertel, redet mit seinen Kunden und hat nur Listen mit Zahlen dabei. Er weiß aus dem Kopf, wer auf welche Zahl gesetzt hat. Wenn ihn die Polizei erwischt, hat er nur eine lange Zahlenliste und spielt den senilen Alten, der Unsinn brabbelt. Ein echter Künstler, der Halunke. Wir saßen ein Weilchen zusammen auf der Treppe im Hauseingang. Da hab ich ihn gefragt:
    »Wie alt bist du eigentlich?«
    Er antwortete ganz stolz:
    »Vierundachtzig!«
    »Sag mal, Kumpel, ab welchem Alter kriegt man ihn eigentlich nicht mehr hoch?«
    »Wie alt bist du denn?«
    »Fünfzig.«
    »Ahh, da hast du noch jede Menge vor dir. Du bist ja noch ein richtiges Kind.«
    »Meinst du wirklich?«
    »Ich weiß, wovon ich rede.«
    »Sag mir bloß nicht, dass du noch …«
    »Nein, jetzt nicht mehr. Mir steht er nicht mehr … eigentlich stimmt das nicht, denn er steht mir immer noch und … nun ja, seit ich sechsundsiebzig bin, komme ich nicht mehr. Und außerdem habe ich auch keine Lust mehr dazu. Ich bin nicht mehr so versessen auf den Arsch jeder Frau, nein, nein …«
    »Verdammt, das ist eine richtige Folter, ich will meine Ruhe haben, aber es geht nicht. Und ich habe einen Steifen, dass … Mann, wenn die Frau mir sehr gefällt, dann kann ich zwei, drei Stunden lang. Die drehen richtig durch bei mir. Finden meine Telefonnummer raus, rufen mich an, nerven zu jeder Tages- und Nachtzeit.«
    »Du hast wohl noch nicht geschnallt, dass reife Männer den Frauen besser gefallen?«
    »Tatsächlich!«
    »Na klar! Ich hab das auch erlebt, zwischen vierzig und paarundsechzig: Du hast ‘nen harten Schwanz und jede Menge Erfahrung. Und außerdem diese charmante Art, Blumen zu schenken, dich interessant zu unterhalten, verstehst du?«
    »Ich brauch aber ein bisschen Ruhe. Ich werd sonst noch verrückt!«
    »Man muss sich im Griff haben. Und du hast eine anständige Frau.«
    »Ja, Julia …«
    »Man sieht, dass sie eine vernünftige Frau ist. Das ist viel wert.«
    Wir redeten noch ein bisschen weiter, doch schließlich sagte der Alte:
    »Pass auf dich auf und hab dich im Griff, aber vögle, so viel du kannst. Das ist wie beim Sport: gute Ernährung und tägliches Training, und keinen Tag auslassen. Das hält dich jung, guter Dinge und erhält dir deine Illusionen.«
    »Illusionen?«
    »Ja. Man wird alt, wenn man seine Illusionen verliert.«
    Als ich nach Hause komme, hat Julia hohes Fieber, schmerzende Nieren, übel riechenden Urin, eine eklige Erkältung, spuckt dauernd gelben Schleim aus und hat eine Halsentzündung, die sie nicht schlucken lässt. Ihr Atem stinkt nach verfaulter Leber. Sie ist bleich und schwach. Sie hat ein Gefühl, als ob sie sterben muss. Ich fühle überhaupt kein Mitleid mit ihr. Ich fühle gar nichts. Es stört mich vielmehr, dass ich mich jetzt mit ihrer Krankheit befassen, mich um sie kümmern und sie pflegen muss.
    Mit diesem Quatsch verbringe ich den restlichen Nachmittag und die Nacht: Aspirin-Tabletten, Kamillen- und Lindenblütentee, Alkoholkompressen, ertrage das Gewimmer. Wache andauernd auf. Schließlich schlafe ich ein bisschen, schon im Morgengrauen. Als ich aufwache, ist es halb neun Uhr morgens. Mir tut der Hals weh, und ich kann nicht schlucken. Ich habe Fieber und Koliken, die mir den Magen umdrehen. Ich gehe aufs Klo. Durchfall!
    Zwei Stunden später bin ich ausgetrocknet, matt und zerschlagen, als hätte man mir sämtliche Knochen durchwalkt. Sogar meine Augenlider schmerzen. Dreimal musste ich mit Durchfall aufs Klo, die Koliken kommen alle fünfzehn Minuten. Bitterer Geschmack im Mund. Nur Wasser und Limonade. Was anderes kann ich nicht schlucken.
    Ein Tag vergeht, zwei, drei. Unser Zustand bleibt gleich oder verschlechtert sich noch. Wir sehen aus wie zwei klapprige, stinkende Greise kurz vor dem Sterben. Kaum halten wir einander aus. Ich habe weder Lust, Rum zu trinken, noch zu rauchen, noch zu essen, noch zu vögeln, kann nicht länger als zehn Minuten lesen. Die Augen tun mir weh. Nach und nach begreife ich, dass ich all meine Kräfte darauf konzentrieren muss, zu atmen, Wasser zu trinken, Aspirin zu schlucken und zu warten. Ich schlurfe nur zwischen Bett und Stuhl hin und her. Julia geht es genauso oder schlimmer. Und sie sagt immer

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