Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der unersättliche Spinnenmann

Der unersättliche Spinnenmann

Titel: Der unersättliche Spinnenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutierrez
Vom Netzwerk:
Küche, wo sie allein dasitzt, gestikuliert und Selbstgespräche führt.
    »Alte, red nicht mit dir selbst. Du wirst noch verrückt werden.«
    »Im Gegenteil, was mich rettet, ist, dass ich den ganzen Tag mit mir selbst rede.«
    Wir geben uns einen Kuss. Ich sehe eine Zeitung aus Puerto Rico herumliegen, schnapp sie mir und setze mich auf die Schwelle der Haustür, in die frische Luft und den Schatten des Mandelbaums. Das ist viel besser als drinnen mit dem ganzen Staub.
    »Wo kommt’n die Zeitung her?«
    »Keine Ahnung.«
    »Was heißt hier keine Ahnung? Die ist aus Puerto Rico. Und vom letzten Sonntag. Wer hat sie hergebracht?«
    »Ich weiß es nicht, mein Sohn, ich weiß es wirklich nicht.«
    »Wie kannst du das nicht wissen? Bist du noch als alte Frau zum Flittchen geworden? Hast dir ‘nen Puerto Ricaner ins Bett geholt? Was hat er dir bezahlt?«
    »Hör auf, mich so zu behandeln. Ich werd jetzt Kaffee machen.«
    Sie geht in die Küche. Alte Hexe, sie weiß genau, wer die Zeitung mitgebracht hat, aber sie will nicht, dass ich über alles Bescheid weiß. Vielleicht hat sie ‘nem Flittchen für eine Nacht ein Zimmer vermietet. Nein, glaub ich eigentlich nicht. Dieses Viertel ist zu anständig dafür. Ach, scheißegal, was kümmert’s mich. In der Zeitung steht jede Menge Scheißdreck, wie in allen Zeitungen, aber es gibt eine Sonntagsbeilage mit Karikaturen, Fantomas, Hägar, Lorenzo, Familie Feuerstein. Auf der ersten Seite schon die Hauptattraktion: »Gebissen von einer radioaktiven Spinne, entwickelt Stan Jeff plötzlich Superkräfte, sie machen ihn zum … UNGLAUBLICHEN SPINNENMANN«.
    Meine Mutter kommt mit dem Kaffee zurück. Sie hält mich vom Lesen ab, erzählt mir Dummheiten von den Nachbarn. Ihr Häuschen steht in einer Seitenstraße mit zehn oder zwölf anderen. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als lebe jeder sein Leben und kümmere sich nicht um die Nachbarn. Alle haben einen kleinen Garten oder einen Hof, halten Hühner, pflanzen Bananenstauden, haben Kokospalmen. Aber der Schein trügt. In Wirklichkeit kennen alle das Leben der anderen. Millimetergenau. Dieses Sträßchen ist eine perfekte kleine Welt für meine Mutter. Weil sie so alt ist, machen ihr neue Menschen oder unerwartete Situationen unheimlich zu schaffen. Jedes Vorkommnis, das sie aus ihrer kleinen persönlichen Galaxie reißt, wirft sie aus der Bahn.
    Sie geht in die Küche, holt noch einmal Kaffee und sagt:
    »Du darfst nicht so viel Kaffee trinken. Das schadet deiner Gesundheit.«
    »Ich mag ihn aber.«
    »Ich will dir was erzählen, aber … es macht mir Angst.«
    »Hast du wieder von Toten geträumt?«
    »Nein, nein.«
    »Sondern?«
    »Heute morgen bin ich früh aufgestanden. Ich hab die Tür aufgemacht, und weißt du, was ich da sah?«
    »Hexerei. Man hat dir eine schwarze Henne hingeworfen.«
    »Nein, mein Sohn. Mich versucht keiner zu verhexen. Ich habe keine Feinde.«
    »Wir haben alle Feinde.«
    »Der schlimmste Feind ist man selbst, das wirst du eines Tages noch verstehen.«
    »Du bist heute so philosophisch. Was war da also vor der Tür?«
    »Da war ein schwarzer Hund. Ein abgemagerter Straßenköter, bei dem sämtliche Rippen hervorstanden.«
    »Und Mutter Teresa hat ihm zu trinken und zu fressen gegeben.«
    »Nein. Lass mich zu Ende erzählen, das ist ernst. Der Hund sah mich mit weit aufgerissenen Augen an, dass man Angst bekommen konnte. Ich bin so erschrocken, dass ich nicht imstande war, ihn wegzujagen. Außerdem hatte ich so eine komische Vorahnung, und da hab ich mich einfach zurückgezogen. Hab ihn in Ruhe gelassen. Oh, sieh nur, wie ich erschaudere, wenn ich bloß dran denke. Und weißt du, was er dann gemacht hat?«
    »Nein.«
    »Er schaute herein. Er kam nicht rein, sondern steckte nur den Kopf durch die Tür. Er sah von einer Seite zur anderen, stieß ein Heulen aus, als habe er starke Schmerzen, und fiel tot um.«
    »Oh verflucht, Alte!«
    »Das sage ich auch. Gott möge mir verzeihen, ich darf nicht fluchen.«
    »Was sich hier drin so alles angesammelt hatte, war zu viel! Man hat dir den Hund geschickt, um es abzuholen. Was hast du mit ihm gemacht?«
    »Ich hab den Nachbarn von gegenüber gerufen, und der hat ihn weggeschafft.«
    »Da, nimm die zehn Pesos. Setz fünf davon auf die fünfzehn, die steht für Hund. Und noch mal fünf auf die siebzehn, San Lázaro. Und das war’s. Heute Abend wirst du was gewinnen. Und außerdem nimmst du noch ein paar Bäder mit Kräutern und Duftöl und reinigst auch das

Weitere Kostenlose Bücher