Der Ungnädige
nicht, sondern war nur sehr damit beschäftigt, seine Hand zu strecken und auf mögliche Knochenbrüche zu untersuchen. In der uns umgebenden Stille hörten wir plötzlich beide ein scharrendes Geräusch, das so klang, als würde jemand von einem Bein aufs andere treten. Rob fuhr herum und spähte die Treppe hinauf. Von seinem Standpunkt aus konnte er besser sehen als ich, wie sich im Dunkeln etwas bewegte– woraufhin er die Treppe nach oben stürmte, jeweils drei Stufen auf einmal.
» Was gibt’s hier zu glotzen? « , rief er.
» Nichts. Ich…nichts. « Ich erkannte die Stimme, und mir wurde mulmig. Walter trat erschrocken ein paar Schritte zur Seite, sodass ich ihn sehen konnte– pure Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben. » Machen Sie keinen Ärger « , rief er tapfer. » Sonst rufe ich die Polizei. «
» Ich bin die Polizei. « Rob zog seinen Dienstausweis aus der Hosentasche und hielt ihn Walter vor die Nase. » Aber keine Sorge, ich bin schon weg. «
» Alles in Ordnung, Walter. Ganz bestimmt. « Ich trat hinaus in den Hausflur, um zu beweisen, dass ich unversehrt war. » Nichts passiert. «
Er nickte, wirkte aber nicht ganz überzeugt, was ich ihm nicht verdenken konnte. Gegenüber zeigte ein leises Quietschen an, dass die Tür geöffnet wurde. Vermutlich hatte Chris schon die ganze Zeit dahinter gestanden und gelauscht. Und als ich nach oben schaute, sah ich auf der anderen Seite Szuszanna über dem Geländer hängen, mit einem stämmigen Kerl neben sich. Beide wirkten höchst interessiert.
» Die Show ist vorbei, Leute. « Ich bedachte die Runde mit einem mittelprächtigen Lächeln und wartete, bis alle den Wink kapiert hatten und sich verzogen. » Geht’s einigermaßen? «
Rob kam langsam die Treppe herunter und schüttelte seine bestimmt schmerzende Hand. » Wird schon wieder. «
Ich wusste nicht, ob er seine Knöchel oder seinen Gefühlszustand meinte, und bekam auch keine Gelegenheit mehr, es herauszufinden. Schweigend ging er an mir vorbei, öffnete die Haustür und wurde von einem Schwall kalter Nachtluft begrüßt. Er zog die Tür hinter sich zu. Ich ging zurück in meine Wohnung, schloss die Tür und ging zum Fenster, von wo aus man die ganze Straße im Blick hatte. Aber als ich dort ankam, war er schon verschwunden.
7
Donnerstag
Zu meinem Glück musste ich am nächsten Morgen weder im Büro sein noch Derwent sehen. Ich hatte nur zu einer Anhörung wegen einer Schießerei, die demnächst verhandelt werden sollte, im Old Bailey zu erscheinen. Es war überaus erholsam, im Saal Nr. 18 zu sitzen und die Eichenverkleidung zu studieren, während die Anhörung sich zäh dahinschleppte. Die Anwälte lieferten sich höfliche Geplänkel zum Zweck der Selbstprofilierung, und ich hatte nichts zu tun. Chris Pettifer riss sich geradezu darum, die Anfragen der Staatsanwaltschaft zu beantworten, und als Detective Sergeant war er dazu auch berechtigt.
Dummerweise hatte ich vergessen, dass auch Rob wegen seines verkorksten Mordfalls an diesem Morgen im zentralen Strafgerichtshof war. Ich stand gerade im Foyer vor dem Gerichtssaal und unterhielt mich mit Pettifer, als ich dieses typische Kribbeln an der Schädelbasis spürte, welches einem sagt, dass man beobachtet wird. So war ich auch nicht überrascht, als ich mich umsah und am anderen Ende des Foyers Rob mit Liv Bowen an seiner Seite entdeckte. Ich starrte zu ihm hinüber, unfähig, den Blick abzuwenden, und versuchte seinen Gesichtsausdruck zu deuten.
» Alles in Ordnung? « Pettifer schaute mich verwundert an, und mir fiel ein, dass ich mitten im Satz abgebrochen hatte.
» Ja, ja. Es ist nur– ich hatte gar nicht gesehen, dass Rob hier ist. « Los, lass dir was einfallen. » Ich hab eine Nachricht für ihn. Vom Chef. «
» Dann richten Sie die lieber mal schnell aus. «
Es kostete mich all meinen verfügbaren Mut, zu Rob hinüberzugehen, vor allem, da sein Blick immer abweisender wurde, je näher ich kam. Liv nickte einen Gruß in meine Richtung und schwebte von dannen, weshalb ich noch kurz ihr Feingefühl bewunderte, ehe ich dazu kam zu überlegen, was ich eigentlich sagen sollte. Aber es zeigte sich, dass das gar nicht nötig war, denn Rob machte den Anfang.
» Was machst du denn hier? «
» Anhörung wegen dieser Drogenschießerei in Streatham. «
» Hast du gestern Abend gar nicht gesagt. «
» Wollte ich eigentlich. Hab’s aber vergessen, tut mir leid. « Ich gab mir Mühe, normal zu klingen, obwohl ich innerlich in mich
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