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Der Unheimliche Weg

Der Unheimliche Weg

Titel: Der Unheimliche Weg
Autoren: Agatha Christie
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erinnern.«
    Beruhigend sagte Dr. Rubec: »Ja, ja, aber regen Sie sich nicht darüber auf. Das wird vorübergehen. Nun möchte ich Ihre Persönlichkeitsstruktur etwas genauer kennen lernen.«
    Sylvia spürte eine leichte Nervosität, doch die Prüfung fiel befriedigend aus.
    »Es ist erfreulich, Madame, jemanden zu treffen, der in keiner Hinsicht außergewöhnlich veranlagt ist. Bitte verstehen Sie das nicht falsch; es ist in meinen Augen ein Vorzug.«
    Sylvia lachte.
    Der Arzt aber fuhr ganz ernst fort: »Ihr Leben wird daher in geordneten Bahnen verlaufen.«
    Er seufzte.
    »Wir haben hier ganz andere Typen. Der Mann der Wissenschaft ist beileibe nicht so kalt und ruhig, wie man ihn sich vorzustellen pflegt. Tatsächlich unterscheiden sich ein erstklassiger Tennisspieler, eine Primadonna und ein Kernphysiker sehr wenig voneinander, was den Mangel an seelischer Stabilität betrifft.«
    »Ja, Intellektuelle sind oft sehr unausgeglichen«, antwortete Sylvia. Sie musste schließlich den Anschein erwecken, dass der Umgang mit Wissenschaftlern für sie etwas Alltägliches war.
    Dr. Rubec hob die Hände: »Sie glauben gar nicht, Madame, was es hier für Aufregungen gibt. Streitereien, Eifersüchteleien, Empfindlichkeiten aller Art. Wir müssen ständig vermittelnd eingreifen. Aber Sie, Madame«, er lächelte, »Sie gehören zur Minderheit. Zu einer erfreulichen Minderheit, wenn ich mich so ausdrücken darf.«
    »Ich verstehe nicht ganz.«
    »Ich meine damit die Frauen«, erwiderte der Arzt, »wir haben kaum Frauen hier. Es werden nur wenige aufgenommen.«
    »Womit beschäftigen sich die Frauen hier denn?«, fragte Sylvia und fügte entschuldigend hinzu: »Ich bin eben erst angekommen und kenne mich noch nicht aus.«
    »Natürlich, natürlich. Es gibt hier eine ganze Reihe von Beschäftigungs- und Unterhaltungsmöglichkeiten. Sie können arbeiten, lernen, spielen und tanzen – ganz nach Belieben.«
    »Und wohin muss ich jetzt gehen?«, fragte Sylvia, als er sich erhob und ihr die Hand schüttelte.
    »Mademoiselle la Roche wird Sie in die Kleiderabteilung führen. Das Ergebnis« – hier verbeugte er sich – »wird ohne Zweifel sehr günstig ausfallen!«
    Nach den eher strengen Frauen, die Sylvia bis jetzt kennen gelernt hatte, war sie angenehm überrascht von Mademoiselle la Roche. Sie war früher Verkäuferin in einem der große Pariser Modehäuser gewesen, und ihre Art wirkte ausgesprochen weiblich.
    »Ich bin entzückt, Madame, Ihre Bekanntschaft zu machen, und ich hoffe, dass ich Ihnen von einigem Nutzen sein kann. Da Sie soeben erst angekommen und ohne Zweifel müde sind, würde ich Ihnen raten, zunächst nur das Notwendigste auszuwählen. Morgen und im Laufe der Woche können Sie dann unsere Bestände genauer prüfen und sich Zeit lassen. Es ist einfach ärgerlich, wenn man seine Auswahl in Hast und Eile treffen muss. Es beeinträchtigt das Vergnügen am Sichanziehen. Nehmen wir also, wenn ich vorschlagen darf, vorläufig nur eine Garnitur Unterwäsche, ein Dinnerkleid und vielleicht ein Kostüm.«
    »Wie angenehm das in den Ohren eines Menschen klingt, der zurzeit nichts besitzt als einen Schwamm und eine Zahnbürste«, sagte Sylvia.
    Mademoiselle la Roche lachte liebenswürdig. Sie nahm Sylvia mit großer Gewandtheit Maß und führte sie dann in ein geräumiges Zimmer mit eingebauten Schränken. Da gab es Kleider in allen Größen, von tadellosem Schnitt und aus hochwertigen Stoffen.
    Als sich Sylvia alles Nötige ausgesucht hatte, ging es in die kosmetische Abteilung, wo sie sich Puder, Cremes und andere Verschönerungsmittel zusammenpacken ließ. Dann wurde alles der Gehilfin, einem einheimischen, in tadelloses Weiß gekleideten Mädchen mit dunklem Gesicht, übergeben, mit der Weisung, alles in der Wohnung Mrs Bettertons abzuliefern. Das Ganze kam Sylvia vor wie ein Traum.
    »Hoffentlich haben wir das Vergnügen, Sie bald wiederzusehen«, sagte Mademoiselle la Roche freundlich. »Es ist sehr angenehm, Madame, mit Ihnen auswählen zu dürfen. Unter uns gesagt, es ist kein großes Vergnügen, die intellektuellen Damen zu bedienen. Sie haben so gar keinen Sinn für eine gute Toilette. Erst vor einer halben Stunde war eine Ihrer Reisegefährtinnen bei mir.«
    »Helga Needheim?«
    »Ach ja, das war ihr Name. Wenn sie ein wenig Sorgfalt auf sich verwenden wollte, so würde sie gar nicht schlecht wirken; sie könnte sogar sehr gut aussehen, wenn sie sich weniger spartanisch anzöge. Aber nein, sie interessiert sich
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