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Der Unheimliche Weg

Der Unheimliche Weg

Titel: Der Unheimliche Weg
Autoren: Agatha Christie
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sicher. Und die interessante Reise hierher – bist du auf demselben Weg gekommen?«
    »Über solche Dinge darf man nicht sprechen. Das musst du so rasch wie möglich lernen.«
    »Aber die Aussätzigen! Ist es wirklich eine Leprakolonie?«
    »Ja, und eine ganze Schar von Ärzten ist um sie bemüht. Du brauchst dich deshalb nicht zu beunruhigen; sie sind ganz getrennt untergebracht.«
    Sylvia sah sich um.
    »Und dies hier ist unsere Wohnung?«
    »Ja. Hier ist das Wohnzimmer, darüber das Schlafzimmer mit Bad. Komm, ich führe dich herum.«
    Sie stand auf und folgte ihm in den oberen Stock. Auf ein hübsch gekacheltes Badezimmer folgte ein schön möblierter Schlafraum mit einem Doppelbett, eingebauten geräumigen Schränken, einem Toilettentisch und einem Bücherregal.
    Sylvia betrachtete amüsiert den großen Kleiderschrank.
    »Ich wüsste nicht, was ich da hineinhängen sollte«, sagte sie, »alles, was ich besitze, trage ich auf dem Leib.«
    »Oh, das macht nichts. Wir haben hier eine Bekleidungsabteilung mit allem, was dazugehört. Alles erster Klasse und hier im Hause. Man braucht keinen Schritt auszugehen.«
    Er sagte das alles ganz natürlich und locker. Und doch kam es Sylvia vor, als ob hinter jedem Wort die Verzweiflung lauere. Sie dachte: Besser, ich frage nicht zu viel, es könnte jemand zuhören. Werden wir abgehört? Oder ist Betterton nur übertrieben nervös? Er scheint mir einem Zusammenbruch nahe. Vielleicht bin ich in einem halben Jahr in einem ähnlichen Zustand?
    »Möchtest du dich vielleicht ein wenig hinlegen?«, unterbrach Tom ihren Gedankengang.
    »Nein, lieber nicht.«
    »Dann komm bitte mit mir ins Aufnahmebüro.«
    »Was versteht man darunter?«
    »Die Daten jeder Neuankömmlinge werden dort registriert: allgemeiner Gesundheitszustand, Zähne, Blutdruck, Blutgruppe, seelische Reaktionen, Neigungen, Abneigungen, Allergien, Fähigkeiten, Begabungen, Vorzüge – einfach alles.«
    »Das klingt aber sehr militärisch – oder vielleicht medizinisch?«
    »Beides«, sagte Betterton, »diese Organisation ist – einfach überwältigend.«
    »Ja«, erwiderte Sylvia, »man sagt, dass hinter dem Eisernen Vorhang einfach alles geplant wird.«
    Sie versuchte, ihrer Stimme eine begeisterte Färbung zu verleihen. Schließlich war ja Olivia Betterton linksgerichtet gewesen.
    Betterton sagte ausweichend: »Du wirst mit der Zeit alles verstehen.«
    Er küsste sie mit eiskalten Lippen, flüsterte ihr ins Ohr: »Spiel weiter!«, und fügte laut hinzu: »Und jetzt wollen wir in die Registratur gehen!«

12
     
    I m Aufnahmebüro saß eine Dame, die aussah wie eine Gouvernante. Betterton stellte seine Frau vor und entfernte sich dann. Nachdem die Gestrenge Olivia nach allen Richtungen hin ausgefragt und sich alles notiert hatte, sagte sie:
    »So, das wäre erledigt. Sie müssen nun zu Dr. Schwartz zur ärztlichen Untersuchung.«
    Dr. Schwartz entpuppte sich als eine liebeswürdige Frau.
    Nachdem sie alle Befunde Olivias eingetragen hatte, sagte sie: »Nun werden Sie noch von Dr. Rubec untersucht.«
    »Wer ist das?«, fragte Sylvia.
    »Unser Psychologe.«
    »Ich kann Psychologen nicht ausstehen«, rief Sylvia.
    »Aber Mrs Betterton, regen Sie sich doch nicht auf. Man will Sie schließlich keiner Behandlung unterziehen. Es geht nur um die Feststellung Ihrer geistigen Fähigkeiten und Ihrer Persönlichkeitsmerkmale.«
    Dr. Rubec war ein melancholisch dreinblickender Schweizer in mittleren Jahren. Er prüfte zuerst die Karte, die ihm Dr. Schwartz reichte, und nickte zufrieden.
    »Sie haben eine gute Konstitution, wie ich sehe. Soviel mir bekannt ist, haben Sie einen Flugzeugabsturz überlebt?«
    »Ja«, antwortete Sylvia, »ich habe einige Tage im Krankenhaus in Casablanca gelegen.«
    »Nur einige Tage? Das war zu kurz«, wandte der Arzt ein. »Sie hätten viel länger dort bleiben sollen.«
    »Aber ich wollte nicht länger dort bleiben. Ich wollte zu meinem Mann.«
    »Das war verständlich, aber nicht vernünftig. Sie mögen sich im Augenblick wohlfühlen, was aber nicht ausschließt, dass sich von Zeit zu Zeit immer noch Nachwirkungen einstellen. Ihre Nervenreflexe sind nicht ganz in Ordnung. Zum Teil mag auch die Reise dazu beigetragen haben, zum Teil aber sind sie unzweifelhaft eine Nachwirkung des Unfalls. Fühlen Sie gar keine Beschwerden?«
    »Doch. Ich leide öfters unter Kopfschmerzen und habe Gedächtnislücken. Zuweilen bringe ich alles durcheinander, und an manche Dinge kann ich mich überhaupt nicht
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