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Der Unheimliche Weg

Der Unheimliche Weg

Titel: Der Unheimliche Weg
Autoren: Agatha Christie
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nicht im Mindesten für Kleider. Soviel ich verstanden habe, ist sie Ärztin. Spezialistin auf irgendeinem Gebiet. Hoffen wir, dass sie sich für ihre Patienten mehr interessiert als für ihr Aussehen. Aber so, wie sie sich herrichtet, würde kein Mann sich nach ihr umdrehen.«
    In diesem Augenblick kam Miss Jennson herein, das magere bebrillte Geschöpf, das die Gesellschaft am Tor begrüßt hatte.
    »Sind Sie fertig, Mrs Betterton?«, fragte sie.
    »Ja, danke«, sagte Sylvia.
    »Dann kommen Sie bitte mit mir zum stellvertretenden Direktor.«
    Sylvia verabschiedete sich von Mademoiselle la Roche und folgte der ernsthaften Miss Jennson.
    »Wer ist denn der stellvertretende Direktor?«, fragte sie.
    »Dr. Nielson.«
    Hier scheint jedermann Doktor zu sein, dachte Sylvia.
    »Doktor welcher Fakultät?«, fragte sie. »Ist er Arzt oder Wissenschaftler?«
    »Er ist kein Arzt, Mrs Betterton. Er gehört zur Verwaltung. Alle Beschwerden sind an ihn zu richten. Er ist der Leiter unserer Vereinigung. Er lässt sich jedes neu angekommene Mitglied vorstellen. Dann bekommt man ihn nicht wieder zu sehen, außer bei ganz wichtigen Angelegenheiten.«
    »Ich verstehe«, erwiderte Sylvia ganz verschüchtert. Sie kam sich vor wie ein Schüler, dem sein Platz angewiesen wird.
    Bei der Anmeldung waren zwei Vorzimmer zu passieren, wo mehrere Sekretäre arbeiteten. Endlich durften sie das Allerheiligste betreten, in dem Dr. Nielson an einem geräumigen Schreibtisch saß. Er war ein großer Mann von blühender Gesichtsfarbe und mit angenehmen Umgangsformen. Er wirkte ein wenig amerikanisch, obwohl er ohne amerikanischen Akzent sprach.
    »Aha«, sagte er, kam hinter seinem Schreibtisch hervor und schüttelte Sylvia die Hand, »da ist ja unsere Mrs Betterton. Ich freue mich, Sie kennen zu lernen. Von ihrem bösen Unfall habe ich schon gehört – aber Sie sind ja nochmal glimpflich davongekommen. Ja, Sie können wirklich von Glück sagen. Nun, Ihr Gatte hat Sie mit großer Ungeduld erwartet, und hoffentlich gewöhnen Sie sich bald bei uns ein und fühlen sich wohl hier.«
    »Danke, Dr. Nielson.«
    Sylvia ließ sich in dem Sessel nieder, den er ihr hingeschoben hatte.
    »Haben Sie irgendwelche Fragen?«, meinte er ermunternd.
    Sylvia lächelte verlegen.
    »Das lässt sich schwer sagen. Ich hätte nämlich so viel zu fragen, dass ich gar nicht weiß, wo ich beginnen soll.«
    »Das verstehe ich vollkommen. Aber wenn Sie meinen Rat annehmen wollen – es ist nichts weiter als ein Rat – so würde ich an Ihrer Stelle gar nichts fragen. Ich würde mich anzupassen versuchen und die Augen offen halten. Das ist das Beste, glauben Sie mir.«
    »Aber ich fühle mich so fremd hier«, klagte Sylvia, »alles ist so – so anders als erwartet.«
    »Ja, das ging anfangs den meisten so. Vor allem dachten alle, es ginge nach Moskau.«
    Er lachte vergnügt.
    »Unsere abgelegene Kolonie bedeutete eine große Überraschung für sie.«
    »Auch für mich war es eine Überraschung.«
    »Wir sprechen nicht gern vorher darüber. Es wird dann zu viel geschwatzt, und wir lieben Diskretion. Aber Sie werden schon noch merken, dass es sich hier recht bequem leben lässt. Wenn Ihnen irgendetwas nicht passt oder wenn Sie einen Wunsch haben, so machen Sie eine Eingabe, und wir werden sehen, was sich tun lässt. Vielleicht interessieren Sie sich für künstlerische Dinge? Malerei, Musik, Plastik? Für alle diese Gebiete haben wir eine besondere Abteilung.«
    »Ich bin leider in künstlerischer Hinsicht gar nicht begabt.«
    »Nun, wir haben hier auch ein reges gesellschaftliches Leben. Wir haben Tennisplätze, wir veranstalten Zusammenkünfte. In ein paar Wochen werden Sie sich eingewöhnt haben. Ihr Mann ist mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt, und die Frauen hier brauchen einige Zeit, bis sie passende weibliche Gesellschaft finden. Sie verstehen mich doch?«
    »Aber muss man – muss man immer hier bleiben?«
    »Hier bleiben? Das verstehe ich nicht ganz, Mrs Betterton.«
    »Ich meine, muss man immer hier bleiben und darf man nirgends hingehen?«
    »Das hängt von Ihrem Mann ab«, erwiderte Dr. Nielson zögernd, »in erster Linie von ihm. Da gibt’s verschiedene Möglichkeiten. Aber wir reden jetzt besser noch nicht darüber. Vielleicht sprechen wir uns wieder einmal – sagen wir, in drei Wochen. Dann können Sie mir erzählen, wie Sie sich eingelebt haben.«
    »Kann man überhaupt ausgehen?«
    »Ausgehen, Mrs Betterton?«
    »Ich meine, durch das Gitter
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