Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Unheimliche Weg

Der Unheimliche Weg

Titel: Der Unheimliche Weg
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
sich niederließ. Er blieb vor ihr stehen. Die Sterne glitzerten, die Luft war kühl und erfrischend. Sie waren allein.
    »Nun sagen Sie mir endlich, wer Sie eigentlich sind«, sagte Betterton nervös mit gedämpfter Stimme.
    Sie antwortete nicht gleich. Erst war sie an der Reihe, eine Frage zu stellen.
    »Warum haben Sie mich als Ihre Frau anerkannt?«
    Sie starrten sich gegenseitig an. Keiner wollte zuerst mit der Sprache heraus. Es war wie ein stummer Kampf zwischen ihnen – ein Kampf, in dem Sylvias Wille langsam die Oberhand gewann.
    Er wandte schließlich den Kopf ab und murmelte finster:
    »Es geschah – in der ersten Überraschung. Wahrscheinlich bin ich ein verdammter Narr gewesen. Ich glaubte, man habe Sie geschickt, um mich zu befreien.«
    »Wollen Sie denn weg von hier.«
    »Guter Gott, da fragen Sie noch?«
    »Wie sind Sie von Paris hierher gekommen?«
    Thomas Betterton lachte kurz und bitter auf.
    »Ich bin nicht entführt worden, wenn Sie das meinen. Ich kam freiwillig und aus Begeisterung.«
    »Wussten Sie, wohin es ging?«
    »Ich hatte keine Ahnung, dass ich in Afrika landen würde, wenn Sie darauf mit Ihrer Frage hinauswollen. Ich wurde durch die üblichen Parolen eingefangen: Weltfrieden, Zusammenarbeit aller Gelehrten auf der ganzen Welt, Bekämpfung der Kapitalisten und Kriegshetzer – das Übliche eben. Dieser Bursche, dieser Peters, der mit Ihnen kam, ist ihnen auf denselben Leim gegangen.«
    »Und als Sie hierherkamen, da sah alles ganz anders aus?«
    Wieder lachte er bitter auf.
    »Sie werden selbst sehen. Oder vielleicht stimmt’s doch. Aber nicht so, wie man es sich vorgestellt hat. Es ist jedenfalls nicht die erträumte Freiheit.«
    Er setzte sich neben sie und fuhr fort: »Deshalb möchte ich wieder weg. Immer hat man das Gefühl, überwacht und bespitzelt zu werden. Oh, diese ständigen Vorsichtsmaßregeln. Über alles soll man Rechenschaft ablegen – über Ausgaben, über Freunde. Vielleicht ist das alles notwendig, aber mich reibt es auf.«
    Sylvia sagte langsam: »Sie wollen sagen, dass hier ganz dieselben Verhältnisse herrschen, denen Sie entfliehen wollten? Überwachung und Bespitzelung – oder vielleicht noch Schlimmeres?«
    Er strich sich das Haar mit einer nervösen Bewegung aus der Stirn.
    »Ehrlich gestanden – ich weiß es nicht. Ich bin nicht sicher. Vielleicht bilde ich mir alles nur ein. Vielleicht überwacht man mich gar nicht; sie haben schließlich nichts zu befürchten. Man sitzt ja im Gefängnis.«
    »So war also alles eine große Enttäuschung für Sie?«
    »Das ist ja das Sonderbare – in gewisser Hinsicht war es keine Enttäuschung. Die Arbeitsbedingungen sind unvergleichlich. Jede Erleichterung wird gewährt, die Einrichtungen sind mustergültig. Man kann arbeiten, so lange und wie es einem beliebt. Man wird mit Nahrung, Kleidung und Wohnung versorgt. Und doch vergisst man nie, dass man eingesperrt ist.«
    »Ich begreife das. Als das Gittertor heute hinter mir zufiel, war mir, als würde ich lebendig begraben.«
    »Also«, sagte Betterton, »ich habe nun Ihre Frage beantwortet. Nun beantworten Sie die meine. Warum geben Sie vor, Olivia Betterton zu sein?«
    »Olivia – «, sie zögerte und suchte nach Worten.
    »Ja, was ist mit Olivia? Was ist los mit ihr? Warum sprechen Sie nicht?«
    Sie sah voll Mitleid in sein hageres, nervöses Gesicht.
    »Ich hatte Angst, es Ihnen zu sagen.«
    »Sie meinen, ihr ist etwas zugestoßen?«
    »Ja, es tut mir sehr leid – ihre Frau ist nicht mehr am Leben… sie war auf dem Weg zu Ihnen, aber das Flugzeug stürzte ab. Man brachte sie ins Krankenhaus, wo sie zwei Tage später starb.«
    Mit einer gewaltsamen Anstrengung suchte er seine Gesichtszüge zu beherrschen. Dann sagte er ruhig:
    »So, Olivia ist also tot! Jetzt verstehe ich erst…«
    Ein langes, bedrückendes Schweigen folgte. Dann wandte er sich wieder Sylvia zu.
    »Das Weitere kann ich mir denken. Sie kamen an ihrer statt hierher. Aber warum?«
    Diesmal war Sylvia um eine Antwort nicht verlegen. Betterton hatte offenbar geglaubt, man habe sie hergeschickt, um ihn zu befreien. Er nahm also nicht an, dass sie als Spionin hier sei, bedachte nicht, dass sie ihm unmöglich helfen konnte, da sie eine Gefangene war wie er selbst. Es war also gefährlich, ihm gegenüber offen zu sein, umso mehr, als Betterton einem Nervenzusammenbruch nahe war. Jeden Augenblick konnte er zusammenklappen. Unter diesen Umständen konnte man ihm kein Geheimnis anvertrauen. So sagte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher