Der unmoegliche Mensch
hielten sie fest.
Lowry spielte mit seinem Glas, einen leisen Anflug von Selbstsicherheit auf seinem sanften Gesicht. »Was ist mit dem Boten? Hat man was gehört?«
»Hast du was gehört, Charles? Vielleicht kommt in ein, zwei Tagen jemand herübergeflogen.«
Während dieses Austauschs von kleinen Höflichkeiten blieb Charles Gifford stumm und zurückhaltend, er versank tiefer in die innere Landschaft, die aus den Ufern des Deltas aufstieg. Auch in den folgenden Tagen saßen seine Frau und Richard Lowry an den Abenden nach ihrer Rückkehr von der Terrassenstadt bei ihm, aber er nahm ihre Gegenwart kaum wahr. Sie schienen sich inzwischen in einer peripheren Welt zu bewegen, Spieler in einem nebensächlichen Melodrama. Ab und zu dachte er über sie nach, aber die Anstrengung schien zwecklos. Die Beziehungen seiner Frau zu Lowry ließen ihn kalt; er spürte höchstens Dankbarkeit dafür, daß Lowry ihn von Louise befreite.
Einmal, zwei oder drei Tage später, als Lowry sich am Abend zu ihm setzte, hob Gifford den Kopf und sagte trocken: »Ich höre, Sie haben einen Schatz in der Terrassenstadt gefunden.«
Aber bevor Lowry antworten konnte, verfiel er wieder in seine Beobachtungen.
Kurz danach sah er eines Nachts, als er in den frühen Morgenstunden durch plötzliche Schmerzen im Fuß geweckt wurde, seine Frau und Lowry durch die blaue Dunkelheit bei Lowrys Zelt gehen. Für einen flüchtigen Augenblick sahen die zwei umschlungenen Gestalten aus wie die sich windenden Schlangen am Ufer.
»Mechippe!«
»Doktor?«
»Mechippe!«
»Ich bin hier, Sir.«
»Heute abend, Mechippe«, sagte ihm Glifford, »schläfst du in meinem Zelt. Verstanden? Ich will dich in meiner Nähe haben. Du kannst mein Bett benutzen, wenn du willst. Wirst du mich hören, wenn ich rufe?«
»Gewiß, Sir. Ich hören.«
Das Ebenholzgesicht des Chefboys beobachtete Glifford verstohlen. Er umhegte ihn jetzt mit einer Sorgfalt, die andeutete, daß Glifford, so sehr er auch noch Novize war, schon in die Welt der absoluten Werte eingetreten war, die aus dem Delta und den Schlangen, aus der finsteren Gegenwart der Toltekenruine und seinem absterbenden Bein bestand.
Nach Mitternacht lag Gifford still in dem Liegestuhl und beobachtete den über den schimmernden Ufern aufgehenden Vollmond. Tausende von Schlangen wanden sich auf dem Kamm des Strandes wie auf einem Medusenhaupt und breiteten sich über den Rand der Ebene aus, ihre weißen Rücken vom Mond beschienen.
»Mechippe!«
Der Chefboy hatte still im Schatten gehockt. »Dr. Gifford?«
Gifford sprach mit leiser, aber klarer Stimme. »Krücken. Dort drüben.« Als der Chefboy ihm die beiden geschnitzten Stöcke reichte, warf Gifford die Decken beiseite. Vorsichtig zog er sein Bein unter dem Bügel heraus, setzte sich dann auf und hob es auf den Erdboden. Er beugte sich auf seine Krücken vor und fand sein Gleichgewicht. Den verbundenen Fuß streckte er vor sich aus wie eine weiße Keule. »Jetzt. In meinem Feldschreibtisch, in der rechten Schublade, ist mein Revolver. Bring ihn mir!«
Zum erstenmal zögerte der Boy. »Revolver, Sir?«
»Smith & Wesson. Er müßte geladen sein, aber da ist auch eine Schachtel Patronen.«
Wieder zögerte der Chefboy, und seine Augen gingen zu den zwei Zelten, die von ihnen aus gesehen hintereinander standen, die Eingänge unter den Staubhauben verborgen. Schweigen lag über dem ganzen Lager, das leise Säuseln des Windes wurde von dem noch warmen Sand und der dunklen, talkumweichen Luft verschluckt. »Revolver«, sagte er. »Ja, Sir.«
Gifford stellte sich langsam auf die Füße und verhielt dann unsicher. Ihm war schwindelig von der Anstrengung, aber sein linker Fuß hielt ihn am Boden wie ein großer Anker. Er nahm den Revolver und zeigte auf das Delta hinaus.
»Wir sehen uns die Schlangen an, Mechippe. Du hilfst mir. In Ordnung?«
Mechippes Augen blitzten im Mondlicht. »Die Schlangen, Sir?«
»Ja. Du bringst mich den halben Weg hin. Dann kannst du zurückgehen. Mach dir keine Sorgen, mir wird nichts passieren.«
Mechippe nickte langsam, während seine Blicke über das Delta schweiften. »Ich helfen, Doktor.«
Gifford bewegte sich mühsam, auf den Arm seines Boys gestützt, über den Sand vorwärts. Nach einigen Schritten war ihm sein linkes Bein zu schwer, um es zu heben, so schleppte er die tote Last durch den weichen Sand.
»Herrgott, ist es weit!« Sie hatten zwanzig Meter zurückgelegt. Infolge irgendeiner
Weitere Kostenlose Bücher