Der unmoegliche Mensch
hindurchzufahren, stellte er den Außenbordmotor ab und ergriff den Bootshaken. Viele der Vögel wogen glatte fünf Zentner, und sie lagen mit ineinander verschränkten Flügeln und in die über Bord geworfenen Kabel und Seile verheddert im Wasser. Crispin konnte sie mit dem Haken kaum beiseite schieben. Nur langsam brachte er die Barkasse bis zum Eingang der Bucht.
Er erinnerte sich, daß der Distriktoffizier ihm erzählt hatte, die Vögel seien nahe verwandt mit den Reptilien – offenbar erklärte das ihre blinde Wut und ihren Haß auf die Säugetiere –, aber Crispin erschienen ihre verwaschenen Gesichter im Wasser eher wie die von ertrunkenen Delphinen, fast menschenähnlich mit ihren gefaßten und individuellen Zügen. Auf seinem Weg über den Fluß, an den treibenden Formen vorbei, hatte er den Eindruck, daß er von einer geflügelten Menschenrasse angegriffen worden war, die nicht von Grausamkeit oder einem blinden Instinkt getrieben worden war, sondern von einem unbekannten und unabänderlichen Geschick. Am anderen Ufer lagen die silbernen Vogelleiber zwischen den Bäumen und auf den offenen Grasflächen. Von seiner Barkasse aus erschien Crispin die Landschaft wie der Morgen nach einer apokalyptischen Himmelsschlacht und die Leichen wie die von abgestürzten Engeln.
Er vertäute seine Barkasse am Strand und schob die toten Vögel im seichten Wasser beiseite. Sonderbarerweise war am Ufer ein Schwarm Tauben heruntergefallen. Ihre dickbrüstigen Körper, mindestens drei Meter von Kopf bis Schwanz, lagen da, als ob sie auf dem feuchten Sand schliefen und die Augen in dem warmen Sonnenschein geschlossen hielten. Seine Patronengurte festhaltend, damit sie ihm nicht von den Schultern rutschten, stieg Crispin die Böschung hinauf. Vor ihm lag eine mit Leichen bedeckte Wiese. Er ging zwischen ihnen hindurch auf das Haus zu und trat dabei ab und zu auf Flügelspitzen.
Eine hölzerne Brücke führte über einen Graben zu dem Haus. Daneben wies wie ein heraldisches Symbol der umgedrehte Flügel eines weißen Adlers den Weg. Die riesigen Federn mit ihrer prächtigen Modellierung erinnerten ihn an ein Denkmal, und in dem etwas dämmerigen Licht in der Nähe des Kliffs ließ die scheinbar gute Erhaltung des Gefieders der Vögel die Wiese wie einen riesigen Parkfriedhof erscheinen.
Als er um das Haus herumkam, stand die Frau an der auf zwei Böcken liegenden Tischplatte und breitete Federn zum Trocknen darauf aus. Links von ihr, neben dem Rahmen des Aussichtsstandes, war etwas, was Crispin zuerst für einen Scheiterhaufen aus weißen Federn hielt, auf einem primitiven Rahmenwerk aufgehäuft, das sie aus den Resten der Pergola hergestellt hatte. Das Haus machte einen verfallenen Eindruck – die meisten Fensterscheiben waren bei den Angriffen der Vögel in den letzten Jahren zerbrochen worden, und der Garten und der Hof lagen voll Unrat.
Die Frau drehte sich zu Crispin um. Zu seiner Verwunderung sah sie ihn mit strengen Blicken an, unbeeindruckt von seiner brigantenhaften Erscheinung, die er mit seinen Patronengurten, dem Gewehr und seinem vernarbten Gesicht bot. Durch das Fernrohr hatte er sie für eine ältere Frau gehalten, aber sie war in Wirklichkeit kaum mehr als dreißig Jahre alt. Ihr weißes Haar war so voll und so gepflegt wie das Gefieder der toten Vögel auf den Feldern ringsum. Alles übrige an ihr war jedoch, trotz der kräftigen Figur und der festen Hände, so vernachlässigt wie das Haus. Ihr hübsches Gesicht ohne jedes Make-up sah aus, als hätte sie es absichtlich den schneidenden Winterwinden ausgesetzt, und ihr langer wollener Kittel war voll Ölflecken. Unter dem ausgefransten Saum waren ein paar ausgetretene Sandalen zu sehen.
Crispin blieb vor ihr stehen und wunderte sich für einen Augenblick, warum er sie überhaupt besuchte. Die paar Bündel von Federn, die sie zu einem Scheiterhaufen aufgehäuft und auf dem Tisch zum Trocknen ausgelegt hatte, schienen seine Rechte an den Vögeln nicht zu beeinträchtigen – der Gang über die Wiese hatte ihm das mehr als deutlich vor Augen geführt. Jedoch fühlte er, daß ihn etwas, vielleicht ihre gemeinsamen Erlebnisse mit den Vögeln, mit der jungen Frau verband. Der leere Mordhimmel, die still in der Sonne liegenden Felder und der Federhaufen neben ihnen bewirkten so etwas wie eine gemeinsame Vergangenheit.
Während sie die letzten Federn auf den Tisch legte, sagte die Frau: »Sie werden bald trocken sein. Die Sonne scheint heute warm.
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